Madeira – Blumen, Levadas und eine Prinzessin aus Mecklenburg

Dem Reiz dieser Insel konnten sich selbst Prinzessinnen nicht entziehen – und Wanderer schon gar nicht. Das Wegenetz entlang der Wasserrinnen, den Levadas, ist einmalig. Unsere Autorin wäre beinahe auf ihrer Trauminsel geblieben.

Porto des Torres
Porto des TorresMichael Haufe

Dass diese Insel im Atlantik blütenreich sein muss, voller Grün – das hatten wir vor unserer Reise schon auf Fotos gesehen. Aber wie üppig alles blüht und duftet, das war dann doch überraschend. Überhaupt steckt es voller Überraschungen, dieses Madeira. Die erste erwartete uns schon bei der Ankunft am Flughafen. Denn: Wer hätte gedacht, dass es eine ganz „dufte“ Verbindung zwischen Madeira und Mecklenburg gibt, das ja gleich neben unserer Heimat Vorpommern liegt – außer, dass beider Namen mit M beginnen?

Mit einem Namen hat diese Verbindung zu tun, wie wir schon im Bus von der temperamentvollen Reiseleiterin erfuhren. Und, natürlich, mit einer Blume – der Strelitzie nämlich. Jeder Blumenladen am Flughafen bietet sie in praktischer Mitfliege-Verpackung an. Aber natürlich wächst sie in leuchtendem Orange auf der ganzen Insel, in den Dörfern und am Wegesrand. Ihre Namensgeberin war eine Prinzessin, nämlich eine Neustrelitzerin. Sophie Charlotte, Herzogin zu Mecklenburg-Strelitz (1744-1818).

Berühmter Brief

So schön war sie, dass König Georg III. von Großbritannien und Irland sich in ihr Konterfei verliebt und sie praktisch vom Bild weg geheiratet hat. Eine begnadete Briefeschreiberin soll sie außerdem gewesen sein, wie ich später zu Hause las. Es heißt, dass der Prinz durch einen Brief auf sie aufmerksam wurde. Sie hatte sich beim preußischen König über das Betragen seiner Armee in Mecklenburg beschwert. Der Brief erlangte Berühmtheit, wurde gedruckt und gelangte so nach England.

Flower Bird of Paradise – Royal Strelitzia on bright blue sky background
Flower Bird of Paradise – Royal Strelitzia on bright blue sky backgroundGetty Images/iStockphoto

Georgs Gesandter soll dann das Bild besorgt und den Handel mit Charlottes Mutter klargemacht haben. Wie es heißt, habe sie auf der Überfahrt nach England auf ihrem Cembalo „God save the King“ geübt, während ihre Reisebegleiter mit der Seekrankheit kämpften. Noch am Abend ihrer Ankunft wurde geheiratet. Charlotte war 17, Georg 23. Sie sollen sich wohl tatsächlich geliebt haben.

Nach Madeira kam Charlotte nie. Im Gegensatz zu einer anderen Prinzessin, nämlich Sissi. Auf sie sind die Madeirer stolz. Sogar zweimal weilte die österreichische Kaiserin hier, versichert die Reiseleiterin und zeigt uns die Sissi-Statue. Ausgerechnet vor einem Casino. Denn zu Sissis Zeiten stand hier die Quinta da Vigia, wo sie residierte. „Sissi liebte unsere Insel.“

Tragisches Ende

Und auch Charlotte hätte sie geliebt! Denn die Botanik war ein weiteres ihrer Steckenpferde. Ihre frühere Ausbildung bei dem lutherischen Theologen Gottlob Burchard Genzmer in Naturphilosophie, Mineralogie und Botanik kam ihr hierbei zugute. Für ihre Verdienste um die Botanischen Gärten wurde ihr später vom britischen Volk der Ehrentitel „Queen of Botany“ verliehen. Und der Leiter des Londoner botanischen Gartens Kew benannte ihr zu Ehren die Pflanzengattung nach ihr. Strelitzie.

Die schöne Geschichte endet leider tragisch. Ihr Gatte erkrankte früh an einer als Wahnsinn missdeuteten Geisteskrankheit, und ihre Söhne verdarben durch Eskapaden und Geldverschwendung den Ruf der königlichen Familie, sodass Charlottes Kutsche sogar mit Steinen beworfen wurde.

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Doch zurück nach Madeira. Die dritte Überraschung schließlich war die unterschiedliche Gestalt der Insel: vom grünen, üppigen Osten hin zum kargen, baumlosen Vulkangestein des Westens. Vom Norden, wo sich die Wolken stauen und abregnen, hin zum niederschlagsarmen Süden. Und jede der Landschaften hat ihre Reize.

Die sich natürlich auf Wanderungen am allerbesten erfahren lassen – die Insel lädt nicht nur durch das angenehme Klima dazu ein, sondern auch durch das perfekte Netz an Wanderwegen entlang der berühmten Levadas: der Wasserrinnen, die die Insel wie ein Spinnennetz durchziehen. Die beeindruckenden Bauten begegnen uns auf unserer Wanderung im Norden von Achadas da Cruz nach Lamaceiros zum ersten Mal.

Gäste aus aller Welt

Um auch den Süden mit Wasser versorgen und besiedeln zu können, haben bereits die frühen Kolonisten Tunnel und Kanäle in die Bergflanken gegraben, erzählte man uns. Auf den Pfaden, die einst die Levadaarbeiter benutzten, um die Kanäle von Blättern und Unrat zu befreien, sind heute naturbegeisterte Gäste aus aller Welt unterwegs.

Gleich nach Verlassen des Parkplatzes fanden wir uns unter hohen Baumkronen wieder, wie im Dschungel sind die Büsche miteinander verwoben, Farne bedecken Böden und Felswände, Moose umgarnen knorrige Bäumen: ein Feenland. Dichte Büsche der Euphorbie, die Portugiesen nennen sie Höllenfeige, wie uns ein Mann erzählt. Oder „Fischfang-Wolfsmilch“, ein giftiges Gewächs, dessen Säfte die Fischer nutzten. Sie betäuben damit die Fische, die sich felsigen Meeresbecken versammelt hatten, und konnten sie dann leicht abkäschern.

Eigentlich ein Traumjob!

Und dann kam sie, die Levada do Moinho, auch Grande Levada genannt. Schon im 17. Jahrhundert hat ein Konsistorium von Landbesitzern sie auf eigene Rechnung bauen lassen und mit dem zugeleiteten Wasser ihre Mühlen betrieben. 14 Kilometer führt die Tour felsauf und treppab, an tropfenden Felswänden entlang, wir können uns nicht sattsehen an dem nassen Grün, an Wurzeln, die spektakulär in der Luft hängen, klammartigen Schluchten und schließlich dem Wasserfall Ribeira do Tristao. Einen „Levandeiro“, den Levadaarbeiter, trafen wir zu meinem Bedauern nicht. Früher waren sie aufgrund ihrer Wichtigkeit angesehene Persönlichkeiten. Levandeiros galten als sakrosankt, wurden also weder von Dieben noch von Wegelagerern behelligt. Heute, erzählt uns der Mann, findet sich kaum noch jemand, der den schlecht bezahlten Job übernehmen will.

Dabei wäre es doch ein Traumjob. Levandeiros, ob es die auch in weiblich gibt? Einfach hierbleiben? Das kalte graue Deutschland einfach gegen den portugiesischen Garten Eden tauschen? Prinzessinen hat die Insel wirklich genug, aber als Levandeira gäbe es hier sicher genug zu tun.

Christine Senkbeil

Nach kurzer Überlegung, ob ein Jobwechsel für uns infrage kommt, entscheiden wir uns nach den Wanderstrapazen dafür, erst mal ein Stück weiter zum nördlichsten Zipfel zu fahren. Wir möchten die natürlichen Felsenbecken sehen, wo die betäubten Fische gefangen wurden: in Porto Moniz. Überraschung Nummer 203, heute sind diese Becken ein Meeresschwimmbad! Die in die bizarren Felsformationen gemauerten Becken werden von den wilden Wellen mit kristallklarem Meerwasser geradezu geflutet: was sichtlich für jede Menge Spaß und Aufregung bei den Planschenden sorgt. Glücklicherweise streut niemand mehr Gift oder käschert Badende heraus. Also: hinein in die Fluten, als hätte es heute noch nicht genug Wasser gegeben.

Doch noch den Rückflug genommen

Umso trockener ging es dann auf der Ostwanderung am Ponta de Sao Laurenco zu. Farbwechsel von grün zu rot. Die baumlose ins Meer ragende Landzunge wirkt wie eine Wüstenei. Doch das Panorama ist großartig. Von Blättern zu Stein. Nirgendwo sonst auf der Welt scheint es so viele Feuersalamander zu geben, einer verkroch sich in unserem Proviantrucksack und provozierte bei seinem spontanen Auftritt laute Schreckschreie.

Der Rückweg zum Flughafen war kein leichter. Aber Levandeiros werden wirklich mies bezahlt und müssen auch bei Kälte raus, erfuhren wir. Und, weiße Blätter vollzuschreiben ist vielleicht auf Dauer doch schöner, als grüne Blätter aus einer Wasserrinne zu ziehen. Und dann ab und zu nach Madeira entfliehen. Auf die Insel der Prinzessinen und Feuersalamander.

Unsere Autorin
Christine Senkbeil, Redakteurin der Kirchenzeitung in Greifswald, ist erklärter Madeira-Fan und Freundin guter Wanderschuhe.