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LWL veröffentlicht Tagebücher eines deutschen Teenagers aus NS-Zeit

Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) gewährt mit der Veröffentlichung von Tagebüchern einer deutschen Jugendlichen aus den Jahren 1938 bis 1946 einen persönlichen Einblick in die NS-Zeit. Die Niederschriften stammten aus dem Nachlass der Münsteraner Volkskundlerin und Germanistin Renate Brockpähler (1927-1989), teilte der LWL am Dienstag in Münster mit. Mit der geplanten Quellenedition wolle die LWL-Kommission Alltagskulturforschung für Westfalen sichtbar machen, wie ein junger Mensch die Diktatur der Nationalsozialisten und den Zweiten Weltkrieg empfunden hat. Erste Informationen zum Projekt und Zeitzeugeninterviews sind im Internet abrufbar.

Der Historiker Niklas Regenbrecht bereitet demnach die zehn Tagebücher auf. Er hat sie gelesen, eingescannt, transkribiert und kommentiert, um im Herbst daraus eine Quellenedition für die weitere Forschung zu veröffentlichen. „Das, was Renate Brockpähler aufgeschrieben hat, ermöglicht uns einen vermeintlich authentischen oder ungefilterten Blick auf die Zeit des NS-Regimes“, sagte Regenbrecht. Zugleich betonte der Wissenschaftler der LWL-Kommission Alltagskulturforschung, dass es sich um subjektive Beobachtungen handele und die oft nicht das zeigten, was tatsächlich passiert sei. Deshalb bedürfe es der Einordnung.

Brockpähler wuchs den Angaben zufolge in einer gut situierten Familie ohne große Sorgen auf. Ihr Vater Wilhelm war Heimatforscher und -funktionär, der im Provinzialverband Westfalen – dem Vorgänger des LWL – arbeitete. „Er beeinflusste seine Tochter sicherlich ebenso wie der Rundfunk, die Schule und der Bund Deutscher Mädel, in dem sie aktiv war“, erklärte Regenbrecht. Die Tagebucheinträge habe der Vater zum Teil auch Korrektur gelesen und entsprechend „gefärbt“. „Dass sie auf ein verbrecherisches Regime hereingefallen ist, kommt erst ganz spät zur Sprache – und dann auch nur vage“, sagte der Forscher.

Ab dem Punkt schreibe Renate Brockpähler, die sich nach dem Krieg in der Friedensbewegung engagiert hatte, zunehmend wehmütig über die Zerstörung ihrer Heimatstadt und das Ende des Nazi-Regimes. „Wer sie liest, kann besser verstehen, wie Menschen ihre eigene Zeit wahrnehmen und wie sich dieses Empfinden entwickelt: von Zustimmung hin zu zaghafter Kritik – oder auch andersherum“, so Regenbrecht. Für ihn sind die Tagebücher ein wichtiges Zeitzeugnis und damit Baustein in der Demokratiebildung heute.