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Lust und Frust im Landpfarramt

Im Januar beginnen junge Theologinnen und Theologen nach dem Vikariat ihren Entsendungsdienst in den Gemeinden. Wohin wird es gehen? Das fragen sich viele besorgt, weil sie lieber in Berlin bleiben wollen, als aufs Land zu gehen. Warum eigentlich? Das Landpfarramt hat so einiges zu bieten. Wie Pfarrerinnen und Pfarrer auf dem Land leben, zeigt „die Kirche“ in einer Reihe, die in dieser Ausgabe startet. Zum Auftakt ein Kommentar dazu von Katharina Furian, der Personalchefin aller ordinierten Pfarrer*innen.

Im Januar beginnen junge Theologinnen und Theologen nach dem Vikariat ihren Entsendungsdienst in den Gemeinden. Wohin wird es gehen? Das fragen sich viele besorgt, weil sie lieber in Berlin bleiben wollen, als aufs Land zu gehen. Warum eigentlich? Das Landpfarramt hat so einiges zu bieten. Wie Pfarrerinnen und Pfarrer auf dem Land leben, zeigt „die Kirche“ in einer Reihe, die in dieser Ausgabe startet. Zum Auftakt ein Kommentar dazu vonKatharina Furian,der Personalchefin aller ordinierten Pfarrer*innen.

Von Katharina Furian

Immer schwerer fällt es, Pfarrstellen im ländlichen Raum zu besetzen und Bewerber*innen dafür zu finden. Ein Grund dafür: Die Sicht auf diesen Teil unseres Landes ist in Kirche und Gesellschaft oft defizitorientiert. Das Klischee eines ausgedehnten Raumes prägt die Debatte – entleert, vormodern, konservativ, konfessionslos, mit Infrastruktur- und Mobilitätsproblemen behaftet. Dabei wäre eine differenzierte Sicht, die Ressourcen sieht und Defizite nicht verschweigt, viel angemessener. Und Ressourcen gibt es viele: geräumige, schick sanierte Pfarrhäuser, Naturnähe, die besonders für Kinder ein gesünderes Aufwachsen ermöglicht, als das in Berlin der Fall ist. Fast alle Kirchen sind in den letzten 25 Jahren saniert worden – und wo nicht, gibt es Kirchbauvereine, die außerdem wunderbare Kontaktflächen zu den Konfessionslosen bilden. Das Gemeinwesen in Gestalt von Vereinen, Feuerwehren, Schulen, Kitas und diversen Festivitäten lässt sich in vielen Fällen zum gemeinsamen Tun gewinnen. Pfarrerinnen und Pfarrer werden mit einem großen Vertrauensvorschuss empfangen und als gesellschaftliche „Player“ wahrgenommen, die zu den Menschen im Ort gekommen sind. Den Bedürfnissen dieser Menschen hinterherzugehen und sie zu „bedienen“ – ganz gleich, ob sie sich in oder außerhalb der Kirchengemeinde artikulieren – ist eine wirklich missionarische Aufgabe. Natürlich gibt es auch die andere Seite: viele kleine Dörfer mit vielen kleinen Gemeindekirchenräten, die dem alten Pfarrbild nachtrauern. Dem gegenüber steht aber eine in weiten Teilen lebendige Regionalisierung, die den Dienst in multiprofessionellen Teams ermöglicht. Dazu kommt eine große Kooperationsbereitschaft der Ehrenamtlichen, weil sie ihr Herz an ihr Dorf, ihre Region und ihre Gemeinde gehängt haben. Und der Wille der Leitenden in Kirchenkreis und Kirchlichen Verwaltungsämtern, den Pfarrerinnen und Pfarrern größtmögliche Gestaltungsspielräume zu eröffnen, gehört zu den besonders zukunftsorientierten Ressourcen.Und so laden die Gemeinden in ländlichen Regionen Pfarrerinnen und Pfarrer, die sich verändern wollen oder im Entsendungsdienst neu beginnen, ein, sich ein eigenes Bild zu machen und eine differenzierte Sicht auf das Landpfarramt in seiner ganzen Vielfältigkeit zu gewinnen. Drei Episoden aus der Praxis erzählen von den Ressourcen der Kirchengemeinden im ländlichen Raum. Die erste von der Unmittelbarkeit menschlicher Nähe: Golzow im Oderbruch, mein sechstes Jahr in der Gemeinde, Oderhochwasser 1997. Meine Junge Gemeinde, die eigentlich eine Volleyballmannschaft war, Dorfjugend, die von Kirche keinen blassen Schimmer hatte, und mit der ich montagabends in der Sporthalle und donnerstagabends im Junge-Gemeinde-Keller zusammen war, machte sich Sorgen um mich. Der Oderdeich war aufgeweicht und drohte zu brechen. Da kamen sie ins Pfarrhaus und sagten: „Frau Furian, das wird gefährlich, wir räumen das ganze Erdgeschoss nach oben, sonst sitzen Sie bald im Wasser!“ Gesagt, getan – in Windeseile verpackten die Mädchen das Geschirr, und die langen Kerle schleppten die schweren Möbel nach oben. Danach gab es einen lustigen Bier-Abend im Pfarrgarten.Auch die Frömmigkeit ist vielfach sehr offen und geht zu Herzen. Im nächsten Dorf gab es eine kleinwüchsige Dame, die jeden Gottesdienst besuchte, der mangels Kirche immer im kleinen Gemeinderaum stattfand. Auf meine Frage, warum sie beim Segen oft so unruhig sei, antwortete sie: „Ich muss immer auf Lücke stehen, die andern versperren mir sonst die Sicht auf Sie, und dann bekomme ich nichts ab vom Segen.“Schließlich die leichtere Verbindung der Kirche mit dem Gemeinwesen: Mein Ehemann, seit Beginn meiner Amtszeit in der Rolle der „Pfarrfrau“, musste zur Christenlehre immer die Kinder aus umliegenden Dörfern mit einem Kleinbus einsammeln. Einmal waren sie sehr übermütig, schnallten sich ab und kletterten nach hinten in den Kofferraum. In dem Moment gab es eine Verkehrskontrolle der Polizei. Mein Mann rief „Pst!“ nach hinten und zeigte die Fahrzeugpapiere. Der Polizist betrachtete ihn, dann die Papiere und sagte nur: „Aha, unterwegs im Auftrag des Herrn? Na dann: Gute Fahrt!“

Katharina Furian leitet als Oberkonsistorialrätin die Personalabteilung für die Ordinierten der EKBO im Konsistorium.