Löhrmann: Alle antisemitischen Vorfälle erfassen

Die nordrhein-westfälische Antisemitismusbeauftragte Sylvia Löhrmann hat sich besorgt über einen zunehmenden Antisemitismus in der Gesellschaft geäußert. Es sei daher wichtig, alle antisemitischen Vorfälle zu erfassen, sagte Löhrmann laut Redetext am Mittwochabend in Siegen. Zugleich müsse dafür sensibilisiert werden, wo die legitimen Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten und Menschen wegen ihres Glaubens oder ihrer Ethnie diskriminiert würden.

Es sei besorgniserregend, dass sich antisemitische Vorfälle vornehmlich im öffentlichen Raum und in Bildungseinrichtungen zutragen würden, sagte die frühere NRW-Schulministerin, die Anfang November die Nachfolge von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger angetreten hat. Das bedeute, dass es Jüdinnen und Juden fast nicht möglich sei, sich möglichen Tatorten von Antisemitismus zu entziehen, ohne sich aus dem öffentlichen und gesellschaftlichen Leben zurückzuziehen.

„Wir dürfen den öffentlichen Raum nicht Hass und Hetze überlassen“, mahnte Löhrmann. Hier sei eine engagierte, noch stärkere Zivilgesellschaft nötig, die klar Haltung zeige. Nach polizeilicher Statistik habe es allein in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2023 475 antisemitische Straftaten gegeben. Im ersten Halbjahr 2024 seien mit 245 antisemitischen Straftaten 85 Prozent mehr Fälle dokumentiert worden als im Vergleichszeitraum 2023.

Als „brandgefährlich“ bezeichnete Löhrmann den israelbezogenen Antisemitismus und die Vermischung der Politik Israels mit dem Judentum. Besonders seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 „sehen wir, wie sich auch auf unseren Straßen Hass und Hetze Bahn brechen“, sagte Löhrmann. Unter dem Vorwand der Differenzierung würden die Verbrechen der Hamas relativiert, als Akt in einem angeblichen Befreiungskrieg gegen Kolonialisten glorifiziert.

Es sei bedenklich, dass laut der im September im Auftrag des Landes NRW veröffentlichte Studie über Verbreitung antisemitischer Einstellungen in der Bevölkerung junge Menschen zwischen 16 und 18 Jahren besonders israelfeindlich eingestellt seien, erklärte die Antisemitismusbeauftragte. Die Studie zeige jedoch auch, dass der Migrationshintergrund keine signifikanten Auswirkungen habe. Ein Faktor hingegen sei die Religiosität. Konfessionsübergreifend gebe es hohe Werte beim modernen und religiösen Antisemitismus.

Natürlich sei es legitim, die israelische Regierung und den Premierminister Benjamin Netanjahu zu kritisieren. Das tue ja auch die israelische Zivilgesellschaft. Um Hass und Hetze entgegenzutreten, sind nach Worten Löhrmanns interreligiöse Begegnungen, mehr Engagement in Schulen gegen Antisemitismus sowie eine Stärkung der Erinnerungskultur nötig.