Artikel teilen:

Lobby-Arbeit für würdevolles Wohnen

Hohe Mieten, knapper Wohnraum, steigende Lebenskosten: Es gibt eine Menge zu bereden beim zehnten Wohnungslosentreffen, das am Sonntag (20. Juli) im oberbayerischen Diakoniedorf Herzogsägmühle (Landkreis Weilheim-Schongau) beginnt. Rund hundert Teilnehmer aus dem deutschsprachigen Raum diskutieren dort sechs Tage lang mit Vertretern aus Politik, Gesundheitsvorsorge und Wohlfahrt ihre Themen. „Ziel ist, mit Wohnungslosen zu reden, statt über sie“, erklärt Frank Kruse, Geschäftsführer der „Selbstvertretung wohnungsloser Menschen e.V.“, die das Treffen organisiert. Sie hat ihren Sitz unter dem Dach der Diakonie „Bethel im Norden“ im niedersächsischen Freistatt.

Vor einer Woche hatte das Bundesamt für Statistik die neuen Zahlen zur Wohnungslosigkeit veröffentlicht: 474.700 Personen waren zum Stichtag am 31. Januar 2025 in Deutschland wegen Wohnungslosigkeit in Notunterkünften untergebracht – Geflüchtete sind dabei mitgerechnet, nicht aber all jene Menschen, die auf der Straße leben oder auf dem Sofa von Freunden nächtigen. Allein für den Freistaat weist die Statistik 44.850 Menschen in Notunterkünften aus, das sind laut Diakonie Bayern 5.000 mehr, als noch vor einem Jahr.

Beim Wohnungslosentreffen geht es um Austausch und Vernetzung, aber auch um Lobby-Arbeit. Erste politische Erfolge hat die „Selbstvertretung“ seit ihrer Gründung 2019 schon erreicht: So gilt die Bewilligung von Bürgergeld und gesetzlicher Krankenversicherung für Obdachlose beim Jobcenter jetzt nicht mehr nur für ein paar Tage, sondern für den ganzen Monat – das reduziert das Risiko von Krankenkassen-Schulden für die Betroffenen. Auch bei der Entwicklung des Nationalen Aktionsplans zur „Überwindung von Obdach- und Wohnungslosigkeit in Deutschland bis 2030“ waren die Selbstvertreter beteiligt. Doch weil nach der Bundestagswahl manche Ansprechpartner weggefallen seien, „fangen wir jetzt wieder von vorn an“, sagt Kruse.

Denn trotz aller politischer Versprechen für mehr Wohnungsbau ist die Not in den letzten Jahren eher gewachsen. Eine bezahlbare Bleibe zu finden, ist schon für Normalverdiener schwer. Die Wohnung zu halten mittlerweile auch: Hohe Energie- und Lebenskosten drängen Menschen mit niedrigem Einkommen in die Überschuldung, auf Mietrückstände folgt oft die Kündigung. „Das kann schon nach zwei fehlenden Monatsmieten losgehen“, weiß Stefan Schütz, Leiter der ambulanten Wohnungslosenhilfe der Diakonie im Landkreis Weilheim-Schongau. Wer aus Scham nicht rechtzeitig Beratung sucht, steht auf der Straße. Schütz wünscht sich deshalb eine sichere Finanzierung der Beratungsstellen und weniger Bürokratie bei Anträgen für soziale Leistungen: Viele Menschen kapitulierten vor den Formularen und verzichteten damit auf Geld, das ihnen zustünde – und manchmal die Wohnung retten könnte.

Auch Frank Kruse von der Selbstvertretung hat ein paar Wünsche an Politik und Gesellschaft: „Genau zuhören, konkrete Nöte der Wohnungslosen verstehen, Selbstvertreter einladen.“ Und eine andere Form der gesetzlichen Unterbringung: Dass Obdachlose von Rechts wegen eine Zwangsunterbringung in Mehrbettzimmern ohne Privatsphäre akzeptieren müssten, gehe letztlich auf ein Urteil von 1929 zurück. „Das ist ein Skandal“, findet Kruse. Er fordert statt der großen Notunterkünfte kleinere, abschließbare Wohneinheiten, die auch für obdachlose Frauen eine Option seien.

Auf offene Ohren dürften solche Forderungen beim Deutschen Diakoniepräsident Rüdiger Schuch stoßen, der dem Wohnungslosentreffen in Herzogsägmühle im Rahmen seiner „Armuts-Sommerreise“ durch Bayern einen Besuch abstattet. Am Donnerstag (24. Juli) ist er zusammen mit seiner bayerischen Amtskollegin Sabine Weingärtner und Landesbischof Christian Kopp zu Gast, wenn es um Themen wie wohnungslose Frauen und Kinder oder das Recht auf Familienleben trotz Wohnungslosigkeit geht. Ob das Mammut-Thema tatsächlich in fünf Jahren Geschichte sein wird, wie es der Nationale Aktionsplan vorsieht, kann auch Frank Kruse nicht vorhersehen. „Aber wir müssen das Thema wachhalten“, sagt er. (2339/17.07.2025)