Linkspopulistin und Umweltexpertin: Mexikos erste Präsidentin

Der Wahlsieg Claudia Sheinbaums ist historisch. „Ich werde die erste Präsidentin in der 200-jährigen Geschichte Mexikos sein“, sagte die 61-jährige Linkspolitikerin in der Wahlnacht vor Tausenden Anhängern im Zentrum von Mexiko-Stadt. Die Wahlbehörde hatte sie Montagfrüh mit 58 bis 60 Prozent der Stimmen nach Hochrechnungen zur Siegerin erklärt.

Im Wahlkampf war Kontinuität eines von Sheinbaums häufigsten Schlagworten. Auch jetzt versprach die promovierte Umweltingenieurin, die Politik ihres populären Vorgängers und politischen Mentors, Andrés Manuel López Obrador, fortzusetzen. Eigene Akzente erhoffen sich ihre Wählerinnen beim Schutz von Frauen sowie im Kampf gegen Gewalt und den weit verbreiteten Machismus.

Doch für viele Mexikanerinnen und Mexikaner bleibt Sheinbaum eine Sphinx, manche nennen sie profillos. Als Präsidentin will sie die üppigen Sozialprogramme weiterführen, mehr in Bildung und Gesundheit investieren. Aber die ehemalige Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt wird sich auch am Kampf gegen die ausufernde Gewalt und die Femizide im Land messen lassen müssen. Mexiko ist für Frauen eines der gefährlichsten Länder weltweit: Im Schnitt werden zehn Mexikanerinnen pro Tag ermordet, von gewalttätigen Ehemännern, Menschenhändlern oder Vergewaltigern.

Von ihrer politischen Konkurrentin und Zweitplatzierten, der Mitte-Rechts-Kandidatin Xóchitl Gálvez, wird Sheinbaum als „Eiskönigin“ beschrieben, unnahbar und arrogant. Anders als López Obrador ist sie keine Menschenfängerin, gilt aber als fleißig und stets gut informiert.

Sheinbaum wuchs in einer Familie jüdischer Einwanderer aus Litauen und Bulgarien auf. Wie ihr Bruder studierte sie Physik. Sie war Teil einer marxistischen Studentengruppe. Mit ihrem damaligen Lebensgefährten und späteren Ehemann Carlos Imaz gehörte sie 1989 zu den Gründungsmitgliedern der Partei der Demokratischen Revolution (PRD) – genau wie López Obrador. Nach dem Studium arbeitete Sheinbaum bei den Vereinten Nationen. Doch dann entschied sie sich ganz für die Politik.

Als ihr Mentor López Obrador im Jahr 2000 zum Bürgermeister von Mexiko-Stadt gewählt wurde, machte er sie zu seiner Umweltsekretärin. Von 2015 bis 2017 war sie Stadtteilbürgermeisterin in Tlalpan, einem Mittelklasseviertel im Süden der Metropole. Ihr Mann, der zuvor diesen Posten innegehabt hatte, musste wegen illegaler Wahlkampffinanzierung zurücktreten. Auch Sheinbaum geriet in die Kritik, als bei einem schweren Erdbeben 2017 eine Schule einstürzte, in deren Trümmern 26 Menschen starben. Ihr wurde vorgeworfen, Baumängel zu vertuschen.

2018 fuhren López Obrador und Sheinbaum einen Doppelsieg ein: Er als Präsident, sie als Bürgermeisterin der Hauptstadt. Sheinbaum erreichte einen Rückgang der Kriminalität, wurde aber auch wegen weit verbreiteter Straflosigkeit kritisiert. Mehrere schwere Unfälle im öffentlichen Nahverkehr, wie bei der Metro, die auf Baumängel und fehlende Instandsetzung zurückgeführt wurden, brachten sie ebenfalls in Bedrängnis.

Doch letztlich tat dies Sheinbaums Erdrutschsieg bei den Wahlen am Sonntag keinen Abbruch. Als Staatsoberhaupt will sie ein eigenes Profil erarbeiten, will erneuerbare Energien fördern und umweltverträgliche Industrien unterstützen.

Befürchtungen wegen einer allzu linken und populistischen Richtung versuchte sie in ihrer Siegesrede zu entkräften. Ihre Regierung werde die Grundrechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit garantieren und jede Form von Diskriminierung bekämpfen, betonte Sheinbaum. Auch sei ihr die Trennung von wirtschaftlicher und politischer Macht wichtig, ebenso wie die Förderung privater Investitionen aus dem In- und Ausland.

Wie sie die grassierende Gewalt gegen Frauen beenden will, ließ die Mutter zweier Kinder allerdings offen. Als Bürgermeisterin ging sie teils rabiat gegen Aktivistinnen vor, die gegen Frauenmorde demonstrierten und mied den Kontakt zu Organisationen von Frauenrechtlerinnen. So wird Sheinbaum zwar als erste Präsidentin Mexikos in die Geschichte eingehen, doch vermutlich nicht als Feministin.