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Linguistin: Merz nutzt sprachliche Muster der extremen Rechten

Die Sprachwissenschaftlerin Constanze Spieß kritisiert die umstrittene „Stadtbild“-Äußerung von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) scharf. „Mit der Äußerung macht sich Merz sprachliche Muster der extremen Rechten zu eigen“, sagte die Sprecherin der Jury für das „Unwort des Jahres“ dem Evangelischen Pressedienst (epd). Merz stärke mit solchen Äußerungen die AfD, statt Wählerinnen und Wähler zurückzugewinnen.

Der CDU-Politiker hatte vergangene Woche im Zusammenhang mit Migration von einem „Problem im Stadtbild“ gesprochen und als Lösung auf Rückführungen „im großen Umfang“ verwiesen. Die Aussage wurde sowohl in den sozialen Medien als auch von Vertreterinnen und Vertretern aus Politik und Wirtschaft als diskriminierend und teilweise als rassistisch kritisiert.

Merz’ Äußerung verfolge die „Strategie der Veruneindeutigung“, erklärte Spieß, die an der Philipps-Universität Marburg lehrt. Er stelle keine konkreten Bezüge her, kopple aber gleichzeitig Migration mit einem vermeintlichen Problem im Stadtbild. „Merz hält seine Aussage bewusst vage und konkretisiert nicht, welches Problem er im Stadtbild genau meint“, sagte die Expertin. Normalerweise hätten Menschen beim Begriff Stadtbild das charakteristische Aussehen einer Stadt im Kopf. In Merz’ Aussage werde aber die Anwesenheit migrantischer Personen in einem solchen Stadtbild zum Problem erklärt.

„Die bewusst vage Formulierung ist strategisch gewählt“, sagte Spieß. Merz könne sich jederzeit von seinen Äußerungen distanzieren und später sagen, er habe das so nicht gemeint. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Äußerung unüberlegt getroffen wurde“, sagte die Linguistin. Als Bundeskanzler müsse Merz sich seiner Rolle bewusst sein, denn als solcher habe er eine Verantwortung für die gesamte Bevölkerung. „Wenn er jedoch solche Aussagen tätigt, dann führt das dazu, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen diskriminiert werden“, sagte die Wissenschaftlerin.

Besonders problematisch sei, dass Merz Migration pauschal mit Rückführungen verknüpfe, kritisierte Spieß. Damit stelle er Migration in einen bestimmten Rahmen, nämlich als nicht rechtmäßig. „Das ist ein Muster, das Merz auch schon im Wahlkampf bedient hat, indem er oft Illegalität und Kriminalität verknüpft hat“, sagte Spieß. Die „Stadtbild“-Äußerung reihe sich in eine ganze Serie problematischer Aussagen von Merz ein. So habe der Bundeskanzler 2023 von „kleinen Paschas“ gesprochen oder behauptet, abgelehnte Asylbewerber würden deutschen Bürgern die Zahnarzttermine wegnehmen.

Ob der Begriff „Stadtbild“ zum Unwort des Jahres werden könnte, ließ die Linguistin offen. Das Wort habe an sich viele positive Konnotationen und sei von Merz nicht bewusst umgedeutet worden. Es erfordere sehr viel Begründungsaufwand, einer breiten Bevölkerung klarzumachen, dass dies ein Unwort sei. „Wenn man Personen fragt, was sie als problematisch an Stadtbildern sehen, dann ist das in erster Linie, dass die Fahrradwege zu schmal sind oder zu viel Müll auf den Straßen liegt“, sagte sie. Die Jury werde aber sicherlich über das Thema diskutieren.