Der Begriff “Gesetz” steht im Mittelpunkt der zweitägigen Jahresversammlung der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina in Halle. Zum Auftakt am Donnerstag appellierte Akademiepräsident Gerald Haug an die Politik, die im Grundgesetz verankerte Wissenschaftsfreiheit angemessen zu schützen. Er beklagte dabei eine verstärkte Zunahme von Bürokratie und Überregulierung, die Forschung behindere.
“Wissenschaft ist mehr als das Befolgen feststehender Regeln. Sie zielt auf das ab, was sich unserer Erkenntnis noch entzieht”, erklärte Haug. Deshalb sei Wissenschaft ständig in Entwicklung und unvorhersehbar. Forscher bräuchten einen großen Freiheitsspielraum, um vielversprechende neue Ideen zu verfolgen und Experimente mit ungewissen Erfolgsaussichten durchzuführen. Dabei seien politisch legitimierte rechtliche Rahmenbedingungen notwendig.
“Je erfolgreicher, relevanter und sichtbarer die Wissenschaft wird, desto umfassender wird sie Gegenstand von Regulierungen”, erläuterte der Leopoldina-Präsident. Das könne problematisch werden, wie die aktuelle EU-Diskussion über eine noch schärfere Regulierung von Tierversuchen zeige: “Sie gibt akuten Anlass zurSorge, dass eine BioNTech-Erfolgsgeschichte in Deutschland bald nicht mehr stattfinden und die entsprechende Forschung dorthin abwandern könnte, wo die Regeln für den Schutz des Tierwohlsdeutlich laxer sind als gegenwärtig bei uns.” Zugleich betonte er, dass wissenschaftliche Wahrheitsfindung immer auch ethisch fundierten Standards folgen müsse.
Bei der Tagung geht es sowohl um Naturgesetze wie juristische Normen als auch um religiöse und musikalische Regeln. Unter dem Titel “Gesetz(e): Regeln der Wirklichkeit – Regeln für die Wirklichkeit” soll das Thema interdisziplinär beleuchtet und diskutiert werden. Als Nationalakademie leistet die Leopoldina unabhängige Politikberatung zu gesellschaftlich relevanten Themen.
Staatssekretärin Sabine Döring erklärte, das Bundesministerium für Bildung und Forschung, setze darauf, dass die Leopoldina die Wissenschaftsfreiheit in politischen Debatten wie etwa jüngst um Gentechnik gegen bloße Ideologie verteidige: “Speisen Sie bitte auch weiterhin fundiertes, reflektiertes Wissen in die Debatten ein und tragen zur Versachlichung bei.” Die Leopoldina habe im vergangenen Jahr mit zahlreichen substanziellen Stellungnahmen auf nationaler und internationaler Bühne zur Politikberatung beigetragen. Das würdigte auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU).
Die 1652 gegründete Leopoldina ist mit ihren rund 1.700 Mitgliedern aus nahezu allen Wissenschaftsbereichen eine klassische Gelehrtengesellschaft. Sie wurde 2008 zur Nationalen Akademie der Wissenschaften Deutschlands ernannt. In dieser Funktion hat sie zwei Aufgaben: die Vertretung der deutschen Wissenschaft im Ausland sowie die Beratung von Politik und Öffentlichkeit.