Was ist ein Kunstwerk? Welche Rolle hat derjenige, der es erschafft? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Künstlerin Iman Issa. Im Münchner Lenbachhaus ist ihr nun eine Ausstellung gewidmet.
Wer sich mit Gegenwartskunst beschäftigt, stellt fest, dass diese stark vom Denken geprägt ist. Das gilt besonders für das Werk von Iman Issa. Die 1979 in Kairo geborene Künstlerin kam zur Kunst erst, nachdem sie Philosophie und Politikwissenschaften studiert hatte. Danach widmete sie sich vorwiegend der Fotografie. Mit 18 Jahren ging Issa nach New York. Inzwischen lebt sie in Berlin und wirkt als Professorin an der Wiener Kunstakademie. Bis 12. April 2026 sind nun Beispiele aus ihren Werkserien im Münchner Lenbachhaus zu sehen.
So gut wie alle Arbeiten von Issa bestehen aus mindestens zwei Teilen – einem materiellen Objekt und einem Text. Diese Kombinationen präsentiert sie zunehmend als Installationen, die frei im Raum stehen oder liegen. Ihre Objekte können alles Mögliche sein: Fotos, Bücher, Videos oder Skulpturen, geschaffen aus Holz, Metall oder anderen Materialien. Sie sind handwerklich perfekt gearbeitet, sehen sehr fein und glatt aus, so elegant und schön, dass man sie am liebsten anfassen möchte. Die Objekte wirken allgemein zugänglich, sind aber sehr spezifisch. Denn möglichst viele Menschen sollen damit etwas assoziieren können.
Eine persönliche Handschrift der Künstlerin ist an ihren Arbeiten äußerlich nicht zu erkennen. Sie kommt vielmehr in den begleitenden Texten zum Ausdruck. Diese erklären aber keineswegs die Objekte oder illustrieren sie, sondern fügen dem Ganzen etwas Neues hinzu, das mit dem Werk nicht zwangsläufig zu tun haben muss. So werden die Arbeiten komplex und vielschichtig und fordern die Betrachter zu Reflexionen auf. “Dieses Nachdenken anzuregen, dass man nicht einfach alles als gegeben hinnimmt – das ist für mich interessant”, erklärt Issa.
Schon Wassily Kandinsky war überzeugt: “Es gibt keine guten Formen, sondern nur gute Inhalte.” Issa möchte die Betrachter ihrer Werke dazu verleiten, sich mehr als die durchschnittlichen zwölf Sekunden mit ihnen zu beschäftigen. Diese Zahl ist das Ergebnis einer soziologischen Studie, die berechnet hat, wie lange Besucherinnen und Besucher von Ausstellungen vor einem Exponat verweilen.
In diesem Sinne sind Issas Arbeiten eine eher geistige als sinnliche Herausforderung. Auch deshalb, weil ihre Serien auf die Kunst von anderen anspielen – auf Denkmäler, Literatur, Gemälde und Fotografien – sowie über einen Zeitraum von Jahrhunderten und nationale Grenzen hinweg. Die Künstlerin fordert beim Menschen die Alltagswahrnehmung heraus und stellt grundlegende Fragen: Was ist ein Kunstwerk? Wie verhält es sich im Zusammenhang mit seiner Zeit? Welche Aufgabe hat eine Künstlerin oder ein Künstler in der eigenen Gegenwart?
Dabei will Issa auch wissen, inwiefern die Wahrnehmung von Kunstwerken durch die gesellschaftlichen Bedingungen vorgegeben ist. Oder andersherum: Wie sehr prägen Kunstwerke den Blick auf die Welt? Denn Zeichen und Ausdrucksformen sind stets einem Wandel unterworfen.
In ihre Arbeiten bezieht sich die Künstlerin häufig auf die Kunst von anderen und lässt Zitate von Philosophen und Schriftstellern einfließen. Wie etwa in der Werkserie mit acht “Selbstporträts”, die aus weißen und schwarzen abstrakt-geometrischen Formen bestehen. Diese Grundformen variiert sie facettenreich immer neu und nennt diese Köpfe dann “Selbstporträt als Hannah Arendt” oder “… als Christa Wolf”.
Alle diese Werke sind von großer Ernsthaftigkeit, aber auch von humoristischer Leichtigkeit geprägt. Deshalb trägt die Schau den Titel “Lass uns spielen”. Das demonstriert besonders eine Werkserie mit zehn Fotografien, die bis zu fünf verschiedene Bildtitel tragen. Die Besuchenden dürfen aus diesen Vorschlägen eine Beschriftung auswählen und so selber bestimmen, was sie sehen wollen. Aber nur eine davon ist richtig. Damit will Issa beweisen, dass die menschliche Wahrnehmung niemals objektiv, sondern immer subjektiv ist.