Latzel: Protestanten sind nicht die “bessere Kirche”
Der rheinische Präses Thorsten Latzel hat zum Reformationstag dazu aufgerufen, sich auf den Kern des evangelischen Glaubens zu besinnen. Die Vorstellung von religiöser Rechtgläubigkeit, moralischer Überlegenheit oder einer familiären Harmoniekultur hätten dazu beigetragen, dass sexualisierte Gewalt in der Kirche lange nicht richtig wahrgenommen und aufgearbeitet worden seien, sagte der leitende Theologe am Donnerstagabend in einem Reformationsgottesdienst in Düsseldorf. „Der protestantischen Plusterigkeit ist längst die Luft rausgelassen.“
„Wir sind keine ‘bessere Kirche’, keine ‘Gemeinschaft der Reinen’ und waren dies auch nie“, betonte Latzel. „Das ist theologischer Humbug.“ Die ForuM-Studie zu sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche habe gezeigt, dass Menschen im Raum der Kirche Gewalt angetan wurde, sagte er laut Redetext in der Düsseldorfer Johanneskirche: „Ihnen wurde zudem nicht geglaubt, wenn sie es anderen erzählten. Ihr Leid wurde oft jahrelang nicht wahrgenommen, anerkannt, geschweige denn aufgearbeitet.“ Vielerorts habe man nicht wahrhaben wollen, dass etwa der Jugendleiter, Organist oder Pfarrer anderen Gewalt antue.
Am Reformationstag erinnern Protestanten in aller Welt an die Anfänge der evangelischen Kirche vor gut 500 Jahren. Es gehe an diesem Tag „darum, worauf es eigentlich ankommt – im Leben und darüber hinaus“, sagte Latzel. Den Reformator Martin Luther habe zeitlebens die Frage umgetrieben, wie er vor Gott bestehen könne. Seine befreiende Erkenntnis sei gewesen, dass niemand vor Gott bestehen könne.
„Wir sind und bleiben Bettler, die nackt und bloß dastehen“, erklärte der 54-jährige Theologe. „Egal ob Anwältin, Bankmanager, Politikerin oder Pfarrer: Worauf es ankommt – im Leben und darüber hinaus – können wir uns nur schenken lassen.“ Dieser Glaube könne frei machen und zu einem guten Umgang mit den Sorgen und Nöten anderer Menschen führen.