Landwirte in der Krise – Wenn die Belastungen zu groß werden

Als eine Ernte verloren zu gehen droht, plagen Burkhard R. Existenzängste. Als dann auch noch familiäre Konflikte dazukommen, versucht er sich umzubringen. Er überlebt – und ändert fortan einiges in seinem Leben.

Als Burkhard R. denkt, es geht nicht mehr, nimmt er sich einen Weinschlauch und fährt mit dem Auto ins Feld. Er trinkt noch zwei Weinschorlen, raucht, während durch den Schlauch giftige Abgase ins Auto strömen. “Dann war ich weg, ich konnte mich nicht mehr bewegen.” Doch sein Versuch, sich selbst umzubringen, scheitert. Es ist zu wenig Benzin im Auto, der Motor geht aus. “Ich hab Glück gehabt”, sagt der Winzer aus Rheinhessen heute. Glück auch, dass er keine Hirnschäden davongetragen hat.

Nach Angaben der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) ist R. kein Einzelfall. Zwar gebe es keine Daten zu Suiziden in der Landwirtschaft, aber “es liegt schon nahe, dass Suizid durchaus ein Thema ist, was es näher zu beleuchten gilt – gerade wenn man auf andere Länder blickt, in denen bereits ein erhöhtes Suizidgeschehen in der Landwirtschaft nachgewiesen wurde”, sagt Stefan Adelsberger, der bei der SVLFG in der Stabsstelle Gesundheitsangebote arbeitet. Im Nachbarland Frankreich zeigen Statistiken, dass die Selbsttötungsrate unter Bauern 20 Prozent höher ist als in der Allgemeinbevölkerung – jeden zweiten Tag bringt sich demnach ein französischer Landwirt um.

Auch Karen Hendrix kennt für deutsche Landwirte keine Zahlen. Aber die Ärztin, die für die Polizei bei sogenannten Leichenschauen offiziell den Tod feststellt, gewinnt irgendwann das untrügliche Gefühl, dass erstaunlich viele Bauern unter den Menschen sind, die sich selbst umgebracht haben. “Das war einfach auffällig”, sagt sie. Hendrix hat selbst eine landwirtschaftliche Ausbildung, das Thema lässt sie nicht mehr los. Heute betreut sie als Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Gruppen von Landwirten in der Klinik im bayrischen Simbach am Inn.

“Die meisten Landwirte, die zu uns kommen, haben schon einen Versuch hinter sich oder über Selbstmord nachgedacht”, berichtet sie. Für die seelische Not der Bauern gebe es meistens nicht nur einen Grund: “Die Belastungen in der Landwirtschaft nehmen wahnsinnig zu.” Hendrix verweist zum Beispiel auf Verordnungen zum Düngen oder Tierwohl. “Manche haben das Gefühl, die Auflagen und Schulden nicht mehr bewältigen zu können. Vielen fehlt die Planungssicherheit.” Auch die gesellschaftliche Wertschätzung für ihren Beruf vermissten viele.

Hendrix und Adelsberger können viele Beispiele aufzählen, in denen Nicht-Landwirte und Landwirte aneinandergeraten: Ein junger Landwirt habe sich etwa einmal von vorbeifahrenden Radfahrern beschimpfen lassen müssen, als er seinen Acker mit Pflanzenschutzmitteln behandelte; einem Waldbesitzer wiederum hätten Mountainbikefahrer das Fällen von Bäumen vorgeworfen – als sie in einem für Fällarbeiten abgesperrten Bezirk des Waldes gefahren seien. “Es ist eine ganz große Entfremdung da”, stellt die Landwirtin und Fachärztin Hendrix fest.

Zu diesen schwierigen Rahmenbedingungen kämen dann noch private Konflikte: Streit auf dem Hof – etwa um die Nachfolge oder zwischen Schwiegermutter und Frau -, Belastung durch die Pflege von Angehörigen oder Einsamkeit. “Und immer Arbeit”, sagt Hendrix. “Die meisten Landwirte können abends nicht mal eben was essen gehen.”

Auch der Winzer Burkhard R. war ein “Arbeitstier”, wie er selbst sagt. “Das hat für drei Leben gereicht.” Neben seinen Weinbergen beackerte er die Politik als Gemeinderat, war in der Feuerwehr und im Sportverein aktiv. Zwar hat er mit seiner Familie jedes Jahr Urlaub gemacht, doch der Alltag war voll – vor allem, weil er mit seiner Familie noch eine Gutsschänke betrieben hat. “Wir waren abends platt wie Pannekoken”, sagt der 66-Jährige. Vergangenes Jahr dann war Burkhard R. am Ende seiner Kräfte.

Gemeinsam mit seinem Enkel, der zwischenzeitlich in den Betrieb mit eingestiegen war, hatte er das Weingut auf “Bio” umgestellt. Weil Unkrautvernichter nun nicht mehr erlaubt waren, musste jede widerspenstige Distel einzeln mit Harke oder Spaten aus dem Boden geholt werden. Und dann drohte auch noch die Ernte verloren zu gehen. “Bis Juli war alles top gewachsen, aber im August regnete es fast jeden Tag. Irgendwann platzen dann die Beeren, dann kommen die Fruchtfliegen, und drei Tage später stinkt alles nach Essig. Dann brauchst du gar nicht mehr ernten.”

Burkhard R.s Existenzängste rauben ihm den Schlaf, er tigert nachts durch den Betrieb und trinkt Gespritzte. Tagsüber hat er Wutausbrüche wie Explosionen. Seine Frau fährt für eine Woche zu einer Freundin, und auch sein Enkel sagt ihm irgendwann: Ich habe es satt. Burkhard R. sagt, er sei in dieser Zeit wie im Tunnel gewesen. Er habe keinen Ausweg mehr gewusst und gedacht: Ohne mich gehts den anderen besser.

Heute geht es ihm selber wieder gut. “Ich bin noch nicht fertig mit meinem Weg. Ich muss mich noch stabilisieren und Selbstbewusstsein aufbauen. Aber mir gehts wieder gut.” Nach seinem Suizidversuch landet der Winzermeister in der “Grünen Gruppe” der Landwirte von Karen Hendrix. Der Klinikaufenthalt sei für ihn wie eine “Wohlfühloase” gewesen – mit Therapie, Gymnastik und Entspannung.

R. glaubt inzwischen zu wissen, warum er “immer am brumme” war, nie ruhig sitzen kann: Er sei als Kind nicht beachtet worden, durch Arbeit und noch mehr Arbeit habe er sich Anerkennung verdienen wollen. Und dann sei da noch die Prügelstrafe in der Schule gewesen, die ihn wohl auch für sein Leben geprägt habe. “Ich habe noch heute immer eine massive Körperspannung”, sagt R.

Inzwischen schreibt er Tagebuch, arbeitet nur noch bis mittags und trinkt jeden Tag um 16 Uhr mit seiner Frau Kaffee. “Das ist mit das Wichtigste”, sagt er. Auch mit seinem Enkel stimme die Chemie wieder. “Er macht seine Arbeit sehr gut. Es macht Spaß mit ihm.” Den Weinbau haben die beiden Geschäftsführer wieder auf konventionelle Landwirtschaft umgestellt, außerdem lassen sie sich nun beraten zur Ausrichtung und Entwicklung des Betriebs. “Wenn man so weit gewesen ist, wie ich, muss man sein Leben und seinen Betrieb ändern.” Vom Alkohol lässt R. die Finger jetzt ganz.

Hendrix zufolge haben Landwirte es meist nicht gelernt, sich auch um sich selbst zu kümmern. “Manche arbeiten schwerstkrank”, berichtet sie. Adelsberger von der SVLFG erklärt, vor allem in den grünen Berufen meine man, “seinen Mann” stehen zu müssen. “Seelische Gesundheit ist ein Tabu-Thema.” Viele Männer meldeten sich erst auf Drängen ihrer Frau bei der Krisen-Hotline der Sozialversicherung oder so spät, dass die Präventivangebote nicht mehr ausreichten. “Die Belastung ist dann schon so weit fortgeschritten, dass sie direkt in eine Therapie oder Klinik müssen.”

Burkhard R. wünscht sich, dass angehenden Landwirten schon in der Ausbildung beigebracht wird, dass sie Familie und Freizeit nicht vernachlässigen dürfen. “Nur höher, schneller, weiter, das funktioniert nicht”, sagt er. Die Sozialversicherung Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau ist derweil eigenen Angaben zufolge dabei, eine Strategie zur Suizidprävention für die grüne Branche zu entwickeln. Unterstützung erhält sie dabei von Experten aus dem Nationalen Suizidpräventionsprogramm. Gleichzeitig will sie zur Enttabuisierung beitragen – damit Landwirte sich Hilfe holen, bevor es dafür zu spät ist.