Kunst hinter Gittern

Durch Einschränkungen des Lockdowns fühlten sich viele Menschen ein wenig wie im Gefängnis. „Echte“ Gefangene der JVA Sehnde zeigen kunstvoll, wie sie diese Zeit erlebt haben.

Der gemalte Blick aus der Gefängniszelle während des Corona-Lockdowns.
Der gemalte Blick aus der Gefängniszelle während des Corona-Lockdowns.epd/privat

Sehnde. Die Corona-Pandemie hat durch die vielen Auflagen und Hygieneregeln die Gesellschaft zu bisher nie da gewesenen Einschränkungen gezwungen. Dabei sind Vokabeln wie „Lockerung“ oder „Beschränkung“ allmählich in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen. Angeregt durch diese Begriffe, die im Gefängnis zum Alltag gehören, kam Pastor Matthias Brockes, evangelischer Seelsorger in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Sehnde, auf die Idee, einen Schreib- und Malwettbewerb unter den Gefangenen zu veranstalten.

Das Motto lautete: „Mein Corona – Seuchenblätter aus dem Knast“

„Ich habe staunend gesehen, wie sich die Welten drinnen und draußen verschoben haben“, so Matthias Brockes. Gefangensein durch das Virus schaffe Parallelen zum Gefangensein in der Anstalt. Brockes wollte wissen, wie die Gefangenen ihren Erfahrungsvorsprung empfinden. Im Vordergrund stand für ihn die Frage, wie ein Virus die Welt sowohl vor den Mauern als auch drinnen verändert. „Die Gefangenen waren aufgefordert, als ‚Profis für Freiheitsentzug‘ ihre Erlebnisse der zurückliegenden Wochen in der Kreativwerkstatt wiederzugeben.“

Zwölf Männer machten mit. Sie reichten Gedichte, Texte, Briefe, Zeichnungen und Bilder ein – die Kreativität war groß. „Jeder kann jetzt sehen, wie langsam die Uhren sich in Gefangenschaft drehen“, liest man da, und „der Zusammenhalt draußen soll jetzt größer sein, vielleicht kommt ja auch etwas von dem Guten hier rein“. Eine Collage fügt Schlüsselbegriffe wie Hoffnung, Gott, Familie, Corona-Krise und eine Karikatur eines Häftlings zusammen.

Ein Gemälde zeigt den Blick auf das Virus aus der vergitterten Zelle

„Das Ergebnis ist beeindruckend“, so der Seelsorger. „In Wort und Bild haben die Teilnehmer teils sehr humorvoll, teils ernst von sich berichtet und auch lange Texte geschrieben mit tiefen Einblicken.“ Durch die Möglichkeit des Malens oder Zeichnens hätten sich auch diejenigen ausdrücken können, deren Muttersprache nicht Deutsch sei, ergänzt Seelsorgerin Kirsten Fricke. „Interessant ist die Perspektive aus der Anstalt auf die Welt.“ Die Hauptboschaft aller Arbeiten sei, so Brockes: „Haltet durch!“

Die Arbeiten hat eine Anstaltsjury bewertet. Zur Preisverleihung waren Vertreter der Anstaltsleitung und des Fördervereins der JVA anwesend. „Dadurch hat die Aktion eine besondere Bedeutung bekommen“, sagt Fricke. Jeder Teilnehmer erhielt eine Urkunde. Zudem wurden alle Arbeiten in einer farbigen Broschüre gedruckt und den Teilnehmern überreicht. Finanziert hat das Projekt die evangelische Seelsorge und der Förderverein der JVA Sehnde.

Seit Mitte März gelten deutschlandweit Leitlinien der Bundesregierung im alltäglichen Miteinander zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie. Die auch nach wie vor Auswirkungen auf den Haftalltag der rund 500 Gefangenen in der JVA Sehnde haben. „Im Gegenzug sind die Telefonzeiten und die Zeiten für das Skypen erhöht worden, aber das ist kein Ersatz für die persönliche Begegnung.“ In Zeiten von Corona ist der Unterschied zwischen „Draußen“ und „Drinnen“ zunehmend verschwommen.