Kritischer Blick auf einen Expressionisten

Der Künstler Otto Mueller war vor 100 Jahren Mitglied der avantgardistischen Künstlergruppe „Die Brücke“ und gilt als einer der wichtigsten Expressionisten. Zu seinen Themen gehörte das Ursprüngliche und der Mensch im Einklang mit der Natur. Zum Ausdruck kam das insbesondere im wiederkehrenden Motiv der „Badenden“ und in der Darstellung von Sinti und Roma, unter denen er damals zeitweise lebte. Das LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster widmet Mueller ab Freitag eine Ausstellung, die neben dem künstlerischen Schaffen das Augenmerk auf Themen wie Frauenbilder, Kolonialismus und die stereotypierende Darstellung von Minderheiten legt.

„Gerade in der heutigen Zeit müssen sich Museen immer mehr die Frage stellen, welche Kunstwerke sie zeigen und welche Narrative sie der Öffentlichkeit anbieten“, sagte Georg Lunemann, Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), am Dienstag bei der Vorstellung der Ausstellung. Die kritische Auseinandersetzung mit Muellers Werk ermögliche es, die Selbstverständlichkeiten und das Anspruchsdenken, die zu dessen Lebzeiten um 1900 vorherrschten, neu zu bewerten und zu reflektieren. Dabei gehe es weniger darum, sich dem Künstler überlegen zu fühlen oder ihn zu verurteilen, sondern darum, Verantwortung zu übernehmen, unterstrich Lunemann.

Gezeigt werden in Münster rund 60 Werke von Mueller selbst sowie von 30 anderen Künstlerinnen und Künstler, die im Dialog zueinander präsentiert werden. „Darunter hochkarätige Leihgaben aus dem Ausland, die nur selten zu sehen sind“, betonte Museumsdirektor Hermann Arnold. Leihgaben stellen etwa die Albertina in Wien und das Museum of Modern Art in New York zur Verfügung. Zu sehen sind auch Gemälde von Ernst Ludwig Kirchner, Dorothea Maetzel-Johannsen, Max Pechstein oder Otto Dix.

Im Mittelpunkt der Ausstellung bis 2. Februar 2025 stehen Darstellungen von Menschen in der Natur. Dazu zählen die ikonischen „Badenden“ von 1913, die Muellers Sehnsucht nach Einfachheit und Ursprünglichkeit spiegeln. Reduzierte Formensprache, klare Kompositionen und eine auf Naturtöne ausgerichtete Farbpalette sind hier kennzeichnend. Gleichzeitig bekomme die Betrachterin und der Betrachter Gelegenheit, den männlichen Blick auf die Frau beziehungsweise das Modell zu studieren, sagte Tanja Pirsig-Marshall, eine ausgewiesene Otto-Mueller-Expertin, die die Ausstellung zusammen mit Flora Tesch und Ann-Catherine Weise kuratiert hat.

Ebenfalls beteiligt war die Berliner Wissenschaftlerin, Autorin, Aktivistin und Künstlerin Natasha A. Kelly, die einen Raum gestaltet hat, der sich mit dem Kolonialismus beschäftigt. „Mueller hat sich in einigen seiner Werke als schwarzer Mann dargestellt“, sagte sie. Wahrscheinlich sei er von einer als exotisch empfundenen schwarzen Männlichkeit fasziniert gewesen. Wobei seine Inszenierungen schwarzer Männer wenig mit der Realität zu tun hätten, beurteilte sie die Darstellungen kritisch.

Um das Wirken deutscher Kolonialgeschichte aufzuarbeiten, hat Kelly in den Raum eine „Wissensapotheke“ und einen „Giftschrank“ gebaut, in den sie unter anderem rassistische Begriffe verbannt. Zudem gibt es einen Film, in dem schwarze deutsche Frauen von ihren Erfahrungen im Kunst- und Kulturbetrieb erzählen.

Der 1874 in der damaligen preußischen Provinz Schlesien geborene Mueller, der sich selbst als unbürgerlich und als Außenseiter begriff, war auch von der Lebensform der Sinti und Roma fasziniert. In seinen Bildern stellte er sie allerdings stark romantisiert und stereotypisiert dar. Für das Kuratorinnen-Team der Ausstellung ist nicht nur das ein Problem, sondern auch die Titel der Werke wie „Zigeuner“, heute als diskriminierende Fremdbezeichnung angesehen.

Um ein Bewusstsein für die Problematik zu schaffen, haben Pirsig-Marshall und ihre Kolleginnen die Titel kommentiert, durchgestrichen oder mit einem schwarzen Tuch verhängt. Dazu klärt ein Video auf, in dem Sinti und Roma in Interviews berichten, wie Muellers Bilder auf sie wirken und wie Verletzungen durch rassistische Titel entstehen können. Ebenfalls in dem Raum befinden sich zwei große Textilarbeiten von der Künstlerin Luna De Rose, die die Geschichte der Sinti und Roma thematisieren.