Kritische Beobachter der Medienwelt
Es ist eine Auszeichnung, auf die die deutsche Medienwelt immer gespannt wartet: mit dem Grimme-Preis werden jedes Frühjahr die nach Einschätzung der Juroren herausragenden Produktionen in den Sparten Fernsehen, Radio und Online prämiert. Hinter der Organisation des Grimme-Preises steht das Grimme-Institut im westfälischen Marl, das am 23. September 50 Jahre alt wird.
Während der im Marler Theater verliehene Grimme-Preis als große Show mit zahlreich anwesender TV-Prominenz daherkommt, ist das Grimme-Institut gewissermaßen das nüchterne Gegenstück. Es ist eine Forschungseinrichtung, die die Entwicklung der Medienwelt beobachtet, analysiert und wissenschaftlich begleitet. Namensgeber ist der SPD-Kulturpolitiker und frühere Erste Generaldirektor des Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR), Adolf Grimme (1889-1963).
Das Grimme-Institut entstand zunächst aus der Absicht, den „rechten Umgang mit Rundfunk, Fernsehen, Film und Presse“ zum Teil der politischen Grundbildung zu machen, wie es schon im Gründungsstatut zu dem vom Deutschen Volkshochschul-Verband (DVV) 1964 gestifteten Grimme-Preis heißt. Als Initiator auch des Grimme-Instituts wollte der DVV Möglichkeiten ausschöpfen, die Volkshochschulen mit dem Thema Fernsehen zu verknüpfen und Angebote für die Erwachsenenbildung im Umgang mit Medien zu organisieren.
Grimme-Direktorin Frauke Gerlach, die das Institut seit 2014 leitet, beschreibt das Arbeitsfeld des Instituts so: „Unsere Aufgabe ist der konstruktiv-kritische Diskurs über die Qualität der Medien und die damit zusammenhängenden Kommunikationsprozesse, die dem gesellschaftlichen Wandel unterworfen sind.“ Das Grimme-Institut sei damit eine Institution, die „jenseits der schrillen Aufmerksamkeitslogiken der digitalen Mediengesellschaft wertebasiert über die Qualität von Medien reflektiert und Medieninhalte beurteilt“.
Dieser Ansatz hat dem Institut, zu dessen Auftraggebern Rundfunkanbieter, Medienunternehmen, Ministerien, Stiftungen und Landesmedienanstalten gehören, in den 50 Jahren seit seinem Bestehen eine Menge Material zur Beschäftigung geliefert. Denn die Medienwelt in Deutschland hat sich in dieser Zeit grundlegend verändert – auch wenn äußerst langlebige TV-Formate wie beispielsweise der „Tatort“ und die Nachrichten-Flaggschiffe „Heute“ und „Tagesschau“ immer noch bestehen.
Doch vor allem seit den 1980er Jahren taten sich den Fernsehnutzern ganz neue Welten auf: Das Privatfernsehen wurde zugelassen, Kabel und Satelliten ermöglichten den Empfang einer zuvor unvorstellbaren Zahl an Sendern. Ab den 90er Jahren gewannen das Internet und die Digitalisierung an Bedeutung. Spätestens da etablierte sich das Grimme-Institut als wichtige Stimme, wenn über die Zukunft der Medien diskutiert wurde. Dabei ging es etwa um die Qualität des Fernsehens und die wirtschaftlichen Perspektiven der Branche.
„Die ersten 25 waren vielleicht nicht immer einfach. Die zweiten 25 werden schwerer“, schrieb 1998 zum 25-jährigen Bestehen des Instituts prophetisch der damalige Direktor der Landesanstalt für Rundfunk NRW (LfR), Norbert Schneider. Mit seinem Blick in die Zukunft der Medienwelt sollte er recht behalten, denn die Digitalisierung, bei der auch Fernsehen und Internet immer mehr zusammenwachsen, lässt inzwischen keinen Stein mehr auf dem anderen.
So bieten große US-Konzerne wie Apple, Amazon, Netflix und Disney weltweit eigene Streamingdienste an und sind mit diesem schier unerschöpflichen Angebot an Filmen und Serien weltweit zur bedeutenden Konkurrenz nationaler „klassischer“ Fernsehanbieter geworden. Auch in Deutschland steht die Akzeptanz des gebührenpflichtigen öffentlich-rechtlichen Rundfunks inzwischen unter Druck – allerdings auch wegen verschiedener Finanzskandale.
Eine neue Herausforderung ist auch der Siegeszug der Künstlichen Intelligenz (KI), die nicht nur den Alltag, sondern auch die Medienwelt verändern wird: „Es wird darum gehen, das digitale Zeitalter zu verstehen und zu gestalten. Künftig wird es um die Auswirkungen von KI und ChatGPT gehen und damit um Medieninhalte, die algorithmisch generiert werden“, sagt Gerlach. „Was wir aber wissen, ist, dass diese digitalen Instrumente die Unterscheidung von Wahrheit, Lüge und Manipulation noch schwerer machen werden.“
In diesen medial turbulenten Zeiten wurde jüngst sogar das Grimme-Institut selbst Thema – ausgerechnet mit Kritik aus den eigenen Reihen. Zu wenig sei aus dem Institut zur Entwicklung und Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu hören, kritisierte der Verein der Freunde des Adolf-Grimme-Preises im letzten November in einem offenen Brief.
Dessen neuer Vorsitzender Jörg Schieb rudert da ein wenig zurück. Es brauche zwar eine Debatte über die Qualität des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, seinen Aufbau und den Einfluss des Internets auf die Gesellschaft, die allerdings das Grimme-Institut nicht allein führen könne. Die Politik sei hier in der Pflicht, doch in Bund und Ländern finde keine Medienpolitik mehr statt: „Es gibt keine Gedanken, Ziele, Ideen – und das in einer Zeit, in der sich die Medienlandschaft massivst verändert.“