Betroffene sehen weiter Defizite bei der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der evangelischen Kirche. Vor der laufenden Synode in Dresden gibt es Kritik – und verstörende Beispiele für den Umgang mit Missbrauch.
Deutliche Kritik an der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat die Betroffenenvertreterin im EKD-Beteiligungsforum, Nancy Janz, geäußert. “Betroffene erleben täglich, dass Fortschritt noch keine Veränderung bedeutet”, sagte Janz am Dienstag vor der in Dresden tagenden Synode der Evangelischen Kirche. Das Kirchenparlament beschäftigt sich auf seiner diesjährigen Tagung mit dem Schwerpunktthema Macht.
“Unsere Macht hängt davon ab, wer uns zuhört”, sagte Janz. “Wir erleben, dass Macht oft zu einer symbolischen Macht wird: Dass wir als Alibi genutzt werden nach dem Motto ‘Es waren ja Betroffene dabei’, und es trotzdem keinen spürbaren Fortschritt für Betroffene gibt.” Man erlebe einen permanenten Spagat zwischen Erwartungen von Betroffenen und den Strukturen, die Veränderungen nur im Schneckentempo voranbrächten. Zugleich würden Menschen, die Missbrauch erlebt hätten, älter und verlören Hoffnung. “Und das Bitterste ist, dass die Zeit zerstört, weil Menschen sterben.”
Janz appellierte an Vertreter der Landeskirchen und der diakonischen Werke, die neue Anerkennungsrichtlinie der EKD einheitlich umzusetzen. Neben individuellen Anerkennungsleistungen sieht die Richtlinie zusätzliche pauschale Zahlungen von 15.000 Euro für jeden Betroffenen vor.
Auch die Sprecherin der kirchlichen und diakonischen Beauftragten im Beteiligungsforum, die Pfälzer Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst, betonte: “Die neue Anerkennungsrichtlinie steht und fällt damit, ob es uns gelingt, über unsere föderalen Schatten zu springen und einheitlich, klar und gemeinsam zu agieren.” Es gebe Fragen und Bedenken. “An uns ist es, Prioritäten zu setzen – und Priorität sollten betroffene Personen haben.”
Der Betroffenenvertreter Matthias Schwarz sagte vor der Synode, dass das Thema Missbrauch immer noch nicht auf der Ebene der Kirchengemeinden und Diakonieeinrichtungen angekommen sei. So gebe es Diakonieeinrichtungen, die eine Mitarbeit an den Unabhängigen Aufarbeitungskommissionen verweigerten.
Die Sprecherin der Initiative “Vertuschung beenden”, Katharina Kracht, forderte die Kirche auf, damit aufzuhören, sich selbst zu loben. “Die Synodalen haben gar keine Zeit, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen”, sagte Kracht. “Es wird schwer, aus den Berichten ein realistisches Bild der Fortschritte und Probleme zu zeichnen.”
Deutlich geworden seien große Probleme innerhalb des Beteiligungsforums. “Wir erhalten viel Post aus der ganzen Republik”, sagte Kracht. “Bei den Betroffenen außerhalb des Beteiligungsforums gibt es nicht den Eindruck, dass irgendetwas ankommt.” Man höre im Grunde dasselbe wie schon seit vielen Jahren: “Die evangelische Kirche steht immer noch da und tut so, als ob das Thema neu wäre.”