Eine Stadt schafft ihr Gefängnis ab: Fiktion in der Serie “A Better Place – Stadt ohne Knast” im Ersten – aber wäre die Idee auch etwas für das reale Leben? Eine Kriminologin findet sie gut, sieht auch zugleich Grenzen.
Eine Stadt ohne Gefängnis? Das sei “eine gute Idee für eine Serie, aber so nicht umsetzbar”, sagt Kirstin Drenkhahn. In der ARD-Serie “A Better Place”, die derzeit für Furore sorgt, werde schnell deutlich, dass “viele wichtige Perspektiven nicht berücksichtigt wurden”.
Drenkhahn ist Professorin für Strafrecht und Kriminologie an der Freien Universität Berlin. Ein Fokus ihrer Arbeit liegt auf der Strafvollzugsforschung. Sie befasst sich seit 25 Jahren intensiv mit den Lebensbedingungen und der psychischen Gesundheit von Gefangenen.
Im Zentrum der Serie steht ein Team von Sozialarbeitern und Psychologen, die bei dem – fiktiven – Projekt TRUST daran arbeiten, Straftätern eine zweite Chance ohne Freiheitsentzug zu geben. Unterstützung erhalten sie vom Bürgermeister, der eine große politische Karriere anstrebt und in der Presse als Visionär gefeiert wird – zumindest anfangs.
172 Justizvollzugsanstalten – wie Gefängnisse im Fachjargon heißen – gibt es derzeit in Deutschland. Mit Abstand die meisten davon, nämlich 34, werden in Bayern betrieben. Bremen unterhält als Stadtstaat nur ein einziges, Berlin sieben. Über 40.000 Menschen verbüßten dort laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2024 eine Freiheitsstrafe. Die überwiegende Mehrheit von ihnen ist männlich und befindet sich im geschlossenen Vollzug.
Dabei wäre nach Ansicht von Drenkhahn in vielen Fällen eine andere Methode sowohl ressourcensparender als auch geeigneter, um Straftäter wieder in die Gesellschaft einzugliedern. “Die meisten Menschen haben keine Ahnung davon, wie es im Knast aussieht. Ebenso wenig ist das gesellschaftliche Bewusstsein vorhanden, dass die Kosten für die Allgemeinheit ohne Resozialisierungsversuche erheblich höher wären als ohne.”
Ein offener Vollzug komme den Steuerzahler “viel günstiger als eine geschlossene Unterbringung verurteilter Straftäter und bereitet viel besser auf die Freiheit vor. Trotzdem gibt es dort viele freie Haftplätze.” Im offenen Vollzug können Inhaftierte sich in der Anstalt frei bewegen, mitunter einer Arbeit nachgehen oder Freigang erhalten.
Unterstützung erhält diese Position durch Statistiken des Bundesjustizministeriums. Gemeinsame Untersuchungen mit der Universität Göttingen und dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht zur Rückfallquote zeigen: Strafentlassene werden eher rückfällig als Menschen, die zu ambulanten Sanktionen verurteilt wurden. Untersucht wurde der Zeitraum von 2004 bis 2013.
Trotz positiver Erfahrungswerte werden andere Methoden im deutschen Justizsystem bislang wenig erprobt. Nur in einer geringen Zahl aller Strafverfahren gibt es so etwas wie eine Mediation. “Wir sprechen momentan jährlich von etwa 6.000 bis 7.500 Fällen, in denen ein Täter-Opfer-Ausgleich stattfindet”, erklärt die Kriminologin. “Dabei wird das begleitete Gespräch zwischen den Beteiligten einer Straftat gesucht. Allerdings erfordert so etwas eine gute und intensive Vorbereitung; entsprechend müssten mehr finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden – zurzeit wird hier aber massiv gestrichen.”
So spontan wie in der Serie im Ersten dargestellt, entstehe ein verzerrtes und romantisierendes Bild entsprechender Programme von “restorative justice” – also dem Versuch einer Wiedergutmachung statt Strafe. In der juristischen Ausbildung spiele dieser Ansatz bisher noch keine Rolle, bedauert Drenkhahn. Derweil sei der Abolitionismus, also die Abschaffung von Strafen, keine neue Idee. Aus guten Gründen habe sich eine vollständige Abkehr vom Einsperren aber nie ganz durchsetzen können.
Insofern sei “A Better Place” durchaus ein wichtiger Debattenbeitrag. Denn auch wenn die Idee einer vollständigen Abkehr von Freiheitsstrafen utopisch sei, lenke sie den Blick doch auf etwas Wesentliches: “Unser Strafvollzugssystem krankt momentan an vielen Stellen”, sagt die Forscherin. “An allen Ecken und Enden fehlt Geld und Personal – gerade im sozialen Bereich, auch um offene Vollzugsformen zu ermöglichen.” Das Ziel von Rehabilitation und Integration rücke damit in weite Ferne.