Krieg in der Ukraine: Bischof Pavlo Shvartz ist vor Ort

Der Bischof der Evang.-Luth. Kirche in der Ukraine ist seit einem Jahr unterwegs, um Verbindungen aufrecht zu erhalten und Hilfskanäle zu öffnen. Der Journalist Dariusz Bruncz aus Polen kontaktiert ihn, als er in Charkiw ist.

Friedensglocke Frankfurt(Oder)
Friedensglocke Frankfurt(Oder)KG Frankfurt(Oder)

Der ukrainische Bischof Pavlo Shvarts über die Situation der Kirche vor Ort.

VON DARIUSZ BRUNCZ.

Etwas entspannt, aber auch sichtlich müde wirkt Pavlo Shvarts, Bischof der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Ukraine, in seinem Kapuzenpullover vor der Kamera. Fast ein Jahr dauert der mörderische Vernichtungskrieg gegen die Ukraine. „Bist du in Warschau oder in der Nähe?“, erkundigte ich mich. Die Frage war nicht zufällig, weil Bischof Pavlo in den vergangenen Monaten stets unterwegs war, um dafür zu sorgen, dass die Kontakte aufrechterhalten werden und Hilfskanäle an allen Knotenpunkten durchlässig bleiben. „Nein, ich bleibe bis Ende März in Charkiw“, antwortete er.

Wichtig zum Überleben: Generatoren.

Unser Gespräch führten wir kurz vor dem erneuten und schweren Angriffder russischen Raketen. Drei Menschen kamen um, darunter ein einjähriges Kind. Das getroffene Universitätsgebäude ist ein Schutthaufen: Die Friedens-und Befreiungsbotschaft der Russen dauert an.

„Bisher hatten wir drei von unseren Kirchengemeinden auf den von Russen besetzten Territorien. Jetzt bleibt nur noch eine in Berdjansk. Im Dorf Zmijevka, etwa 300 Kilometer von Berdjansk, wo es auch eine lutherische Gemeinde gibt, ist der Ort ständig unter Beschuss.“ Ein Stromgenerator sei vom Gustav-Adolf-Werk in letzter Zeit geliefert worden und zuvor seien kleinere Generatoren von Polen gestiftet worden. „Solche Geräte sind lebensrettend und werden überall benötigt, weil die Russen wie Heuschrecken zielgerecht alle Übertragungsmasten zerstören, damit das Leben für, die zu befreiende Bevölkerung‘ noch unerträglicher wird. Ohne sie hätte es keine Wasser- und Wärmeversorgung für die zivile Bevölkerung gegeben“, erzählt Shvarts.

Die Lage der Gemeinde in Charkiw relativ stabil

In der Charkiwer Gemeinde sei die Lage – trotz Bombardierungen – vergleichsweise stabil. Es gibt bis zu 40 Personen, ein bisschen mehr als vor dem Krieg, aber der Bischof und der Kirchenvorstand achten darauf, dass die Gemeindearbeit und diakonische Hilfeleistung messerscharf voneinander getrennt werden. „Weder vor dem Gottesdienst noch danach übergeben wir humanitäre Hilfe. Wir setzten vielmehr darauf, einerseits mit bewährten Institutionen zusammenzuarbeiten, wie Schulen oder Kommunen, und gleichzeitig helfen wir Notleidenden, von denen wir dank unseres Netzes von ehrenamtlichen Mitarbeitern wissen. Es gibt auch eine Gemeinde, die der lokalen Verwaltung und der Armee mit der Arzneimittelversorgung zur Seite steht. Wir wollen Situationen vermeiden, in denen sich Menschen durch unsere Hilfe zur Mitgliedschaft gezwungen fühlen oder wir angeschwärzt werden, Proselytismus zu betreiben. Hilfe zu leisten ist alles andere als einfach“, betont der Bischof.

Trotz des Krieges: Kirchengemeinden arbeiten an sozialen Brennpunkten

Nicht überall darf der Bischof hinreisen, wo er als Gemeindepfarrer Dutzende Gläubige zu betreuen hätte. In den stark umkämpften Gebieten um Saporoschja gibt es eine winzige Gemeinde, nicht einmal zehn Personen. Es sind meist Frauen, die das kirchliche Leben am Laufen halten. „Wir wollen nicht durch Angst vereinnahmt werden und müssen das machen, was die Kirche tut“, sagt der Bischof und weist auf Missionsarbeit hin, die trotz des Krieges oder wegen des Kriegs nicht stärker in den Blick genommen wird. „Mit Hilfe unserer Glaubensgeschwister aus dem Ausland haben wir Losungen und ein Gebetsbuch in ukrainischer Sprache herausgegeben. Was erstaunlich klingen mag, aber auch die ukrainische Übersetzung der bioethischen Positionsschriften der Gemeinschaft Evangelischer Kirche in Europa (GEKE) wurde abgeschlossen. Fast alle Kirchengemeinden engagieren sich in Projekten, die der ganzen Bevölkerung dienen – in Kiew oder Odessa wird mit Obdachlosen oder an anderen sozialen Brennpunkten hart gearbeitet.“

Was wird gebraucht: offene und einfühlsame Herzen

Auf die Frage, was noch benötigt wird, sagt der Bischof nach kurzem Zögern: offene und einfühlsame Herzen. Er erklärt, dass materielle Bedürfnisse zwar groß seien, aber noch herausfordernder seien Personalfragen. „Es gibt so viel Arbeit! Wir haben Gottesdienste, Bibelstunden für Kinder und Erwachsene und viele andere Initiativen, aber es fehlen uns Menschen mit Herzblut, die die Pastoren unterstützen könnten. Viele sind kriegsbedingt nicht mehr da. Wir sind immer noch im Lernprozess, wie wir am besten mit verfügbaren Kapazitäten umgehen können und trotz der Schwierigkeiten ist uns ja viel gelungen!“

Es gibt mehr Gemeinschaftsgefühl.

Unter den Dingen, die sich in der Kirche und in ihrer Selbstwahrnehmung seit dem Kriegsbeginn verändert haben, hebt der Bischof das Gemeinschaftsgefühl hervor – weg vom Konkurrenzdenken hin zum großzügigen Miteinander und Zusammenhalt. „Wir lernen, was es heißt, gemeinsame Verantwortung für die Kirche zu tragen, wie man miteinander redet, aber auch streitet, wie man tragfähige Strukturen aufbaut und Finanzen so koordiniert, dass es möglichst gemeinschaftsfördernd und transparent ist. Wir lernen halt, nachhaltig Kirche zu sein“, stellt der Bischof fest. Nicht zu überschätzen sind auch andere Werkzeuge, dank derer die Kirche logistisch auf mehreren Ebenen die Herausforderungen auf pastoraler und diakonischer Ebene meistert. Die Kirche in der Ukraine steht vor gewaltigen Aufgaben, an die sie im dauernden Krisenmodus eines tobenden Krieges herangehen muss. Unter solchen Bedingungen seien internationale Kontakte mit anderen lutherischen Kirchen wichtig, zumal die Ökumene nicht immer die besten Rahmenbedingungen für Zusammenarbeit schaffe. Ein Beispiel sei unter anderem die ausbleibende Kooperation der Orthodoxen Kirche der Ukraine (siehe unten), die nach der Erlangung ihrer Autokephalie (Unabhängigkeit) den ökumenischen Dialog nicht mehr so leidenschaftlich begleitet. „Nach der Überreichung der Urkunde zog sich die als offen geltende orthodoxe Kirche auf wohl bekannte Positionen zurück, was wir, aber auch Katholiken beider Traditionen wahrgenommen haben“, bemerkt der Bischof.

Zusammenarbeit zwischen Kirchen in Russland problematisch

Die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche, die früher offiziell dem Moskauer Patriarchat unterstellt war, vermeide sowieso ökumenisches Miteinander. Mit den russischen Lutheranern unter der neuen Leitung gibt es kaum Kontakte, ausgenommen einer Zusammenkunft lutherischer Bischöfe in Usbekistan im Oktober 2022. „Mich hat damals der Synodenpräsident Gross vertreten, weil ich unterwegs in Europa war. Wir wissen um ihre angespannte Situation, dass sie keine Freiheit haben und nach der Pfeife tanzen müssen, wenn sie beispielsweise die Stellungnahme des deutschen Botschafters pflichtgemäß kritisieren müssen. Nichtsdestotrotz versuchen wir unsere Arbeit so gut wie möglich zu leisten. Und wir hoffen auf den gerechten Frieden und die freie Ukraine.“

  • Dariusz Bruncz ist Journalist, Mitbegründer einer ökumenischen Informationswebseite sowie Projektleiter des publizistischen Internetauftritts der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen.