Das Kreuz ist ein Ärgernis, eine Zumutung. Ein aktueller Fall in Bayern zeigt, wie sehr dieses Symbol auch heute noch missverstanden wird und entzweit. Der Verwaltungsgerichtshof hat dort entschieden: Das Kruzifix im Eingangsbereich eines Gymnasiums muss abgenommen werden. Der ständige Anblick des religiösen Symbols Kreuz verletze die sogenannte negative Glaubensfreiheit der klagenden Schülerinnen, laut der man selbst entscheiden darf, wie viel Religion man sich zumuten lassen will.
CSU und Freie Wähler sprechen von einem Angriff auf die Identität Bayerns: Das Kreuz sei Teil von Kultur und Tradition, es stehe für Werte wie Nächstenliebe und Barmherzigkeit. Das Kreuz sei weit mehr als ein religiöses Zeichen – es sei Ausdruck gesellschaftlicher Grundwerte und gehöre sichtbar ins öffentliche Leben.
Es ist schade, dass Gerichte so entscheiden müssen. Gerade in einer Zeit, in der die Bedeutung und die öffentliche Präsenz der Kirchen in Deutschland und Europa ohnehin stark schwindet.
Keine Staffage für Identitätspolitik
Doch bei aller berechtigten Trauer stellt sich die Frage: Verstehen die Politikerinnen und Politiker, die das Urteil kritisieren, wofür das Kreuz steht? Sie sprechen vom Kreuz als kulturellem Erbe, als Traditionssymbol. Dieses Verständnis wies die evangelische Kirche bereits 2018 zurück. Damals hatte das Land Bayern angeordnet, dass in allen öffentlichen Gebäuden Kreuze hängen müssen. Die Kirche kritisierte heftig vor allem die Begründung: Das Kreuz sei eben kein Folklore-Objekt, keine Staffage für Identitätspolitik. Es stehe nach evangelischem Verständnis für weit mehr: für das Leiden und die Auferstehung Jesu, für Vergebung, Hoffnung, Liebe, die Überwindung von Gewalt, für Solidarität mit den Schwachen und für die Zumutung, dass Gottes Kraft sich gerade in der Ohnmacht zeigt.
Und genau hier muss man sich fragen, ob die, die von „christlicher Prägung“ reden, überhaupt noch begreifen, was dies bedeuten müsste, wenn sie es denn ernst meinten. Die evangelische Kirche hat in den vergangenen Monaten immer wieder angemahnt, dass manche Entscheidungen der Parteien mit dem „C“ im Namen mit christlicher Ethik und Nächstenliebe wenig gemein haben – sei es in der Migrationspolitik, beim Umgang mit den Schwächsten oder bei der Verteidigung von Menschenwürde und Gerechtigkeit.
Kreuz verpflichtet
Ja, das Kreuz ist anstößig. Schon Paulus schreibt das im 1. Korintherbrief. Es war schon immer unlogisch, unsinnig, eine Zumutung, bis heute. Allerdings nicht nur für die klagenden Schülerinnen. Sondern offenbar auch für viele Politikerinnen und Politiker, die zwar das Symbol fordern, aber nicht bereit sind, die Konsequenzen zu ziehen. Wer das Kreuz als Symbol zur Pflicht machen will, muss auch bereit sein, selbst die Verpflichtungen zu tragen, die sich daraus ergeben.
