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Kreative Schreib-Handwerker

Beim Projekt „Ruhrstadtkinder schreiben Geschichten“ ist Phantasie gefragt. Ergebnis: Texte. Rau und unverfälscht

Welche Methoden fördern das Rechtschreiben und Lesen auf beste Weise? Darüber wird in der Öffentlichkeit wieder einmal trefflich gestritten. Und just in dieser Zeit machen sich Jungen und Mädchen in Schwerte auf ihren eigenen Weg, mit Neugier und Spaß eigene Geschichten zu finden, sie zu erzählen und aufzuschreiben.
In kreativer Weise kommen sie ihrer Phantasie auf die Spur, sammeln gemeinsam Motive und Ideen. Und wenn es dann zu einem Einfall gekommen ist, gehen sie an die Arbeit: Wie sehen die Personen aus, die in ihrer Geschichte eine Rolle spielen? Sie fragen nach dem, was diese Personen bewegt, ihre Gefühle, ihren Charakter und ihre Eigenarten. An welchen Orten spielt unsere Geschichte? Wie sieht es dort aus? Wie können wir davon so erzählen, dass unsere Leserinnen und Leser ein Bild bekommen? Wie baut sich die Handlung auf? Wie können wir Spannung erzeugen?

Einmal in der Woche treffen sich jetzt 20 Kinder

So sind die Kinder in ihrer Schreibwerkstatt mit Eifer bei der Sache.
Einmal in der Woche treffen sich die Kinder in „ihren“ Räumen, anregungsreich gestaltet von Andrea Reinecke, der Leiterin und Begleiterin der Kinder auf den Erzähl- und Schreibwegen. Ihre berufliche Kompetenz aus Journalismus und Verlagsarbeit verbindet sich mit viel Liebe zu den Kindern und Herzblut für die Sache.
Sie hat das Projekt „Ruhrstadtkinder“ angeregt. Für sie stehen bei allen Treffen die Freude, der Schwung und der Elan im Mittelpunkt. Zielorientiert wird gemeinsam an den Texten gearbeitet. Kein Kind schreibt einen Text ganz allein – die Ruhrstadtkinder produzieren Gruppenergebnisse, niemals ohne Konzept, immer aufgesetzt an Modulen und doch mit der Freiheit zur kreativen und phantasievollen Arbeit. Das gemeinsame Motto lautet: Wir kennen die besten Ecken, finden die besten Geschichten!
Ab und zu hängt Andrea Reinecke zur Anregung kurze Texte an die Wände und die Kinder fragen interessiert nach. Es sind kleine Fundstücke aus der Literatur, die die Kinder zu einem Sprung zwischen den Genres und einem Blick auf andere Künste inspirieren. Darum gibt es neben dem Handwerkszeug immer auch eine kleine, begleitende Ästhetik-Schule zur Vertiefung.

Mittlerweile sind es 20 Kinder, die sich in drei Gruppen im Alter von neun bis zwölf Jahren treffen. Für ihre Arbeit haben sich die Kinder Regeln gegeben. Sie zeigen, mit welcher Achtsamkeit sie gemeinsam bei der Sache sind: Keine(r) ist besser, nur anders. – Keine Geschichte ist eine schlechte Geschichte, vielleicht ist sie noch nicht fertig.
Dabei zeigt die Regel: Stille Zeit!  das Gespür der Kinder für ihr eigenes Wohlbefinden.
So entstehen Geschichten, die die Kinder erarbeiten. Ein Kind stellt eine Idee vor, dann wird wertschätzend applaudiert und diskutiert. Gemeinsam feilen sie am Plot und an der sprachlichen Gestaltung. Und am Ende gehen „unsere Geschichten gut aus!“
Und erst, wenn sie in aller Augen fertig ist, kommt die Geschichte an die Öffentlichkeit.
Doch manches, was die Kinder sich am Anfang ihrer Treffen erzählen, wird nicht veröffentlicht. Es sind die Geschichten, in denen sie sich über ihre Sorgen austauschen. Über ihre Irritationen im Angesicht der politischen Ereignisse in unserem Land und überall auf der Welt. Und gerade hier hat das Erzählen eine heilsame Bedeutung jenseits der Produktion.
Vor den Sommerferien haben die Ruhrstadtkinder ihr erstes Geschichtenbuch veröffentlicht. Selbstbewusst und mit viel Sprachwitz haben sie es in einer Lesung präsentiert.
Und es bestätigt sich, was Andrea Reinecke in ihrem Nachwort schreibt: „Nur Kinder schreiben wie Kinder. Die Geschichten sind rau und unverfälscht.“

Blatt, Stift und Zutrauen in die eigene Phantasie

Mittlerweile sind die Stadtwerke Schwerte aufmerksam geworden. In deren Zeitschrift haben die Ruhrstadtkinder nun eine eigene Rubrik. Beginnend mit Episode 1 wird es eine Fortsetzungsgeschichte geben, die auch über eine App abrufbar ist. So lernen die Kinder „nebenbei“, wie das Leben als Autorin und Autor „funktioniert“.
Doch im Vordergrund steht die positive Verstärkung, die die Kinder in diesem Projekt erfahren. Sie erleben das Projekt als Schutzraum, der ihnen freies Arbeiten mit der Sprache ermöglicht. Dabei haben die Kinder einen unverstellten Blick und schaffen auch für Erwachsene Inspiration und Zugang. „Im Zweifel reichen starken Kindern ein weißes Blatt, ein Bleistift und die Erlaubnis, der eigenen Phantasie etwas zuzutrauen.“