Frau Vogel, wie kommt eine Juristin in den Kirchendienst?

Im Interview spricht die neue Konsistorialpräsidentin der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg schlesische Oberlausitz (EKBO), Viola Vogel, über Impulse, die sie setzen möchte.

Viola Vogel, Konsistorialpräsidentin der EKBO
Viola Vogel, Konsistorialpräsidentin der EKBOIMAGO / epd

Frau Vogel, ist es biografischer Zufall, dass Sie als Juristin im Kirchendienst tätig waren und sind?

Viola Vogel: Religion und Glaube waren mir immer wichtig, so bin ich auch familiär geprägt. Beruflich habe ich immer einen Weg gesucht, wie ich als Juristin auch Theologie leben kann. Ich wollte gern in der Kirche als Juristin arbeiten.

Das ist Ihnen gelungen …

… aber nicht sofort. Weil vor Jahren hier im Berliner Konsistorium keine Stelle frei war, bin ich zunächst als Rechtsanwältin tätig gewesen und dann 2008 ins Landeskirchenamt nach Sachsen gegangen. Dort habe ich in unterschiedlichen Dezernaten gearbeitet. Nach der Promotion in Göttingen bin ich zurück in den sächsischen Kirchendienst, habe zunächst im juristischen Grundsatz- und im Finanzdezernat gearbeitet. Schließlich bin ich in den Vorstand des Diakonischen Landesverbandes gewählt worden, bevor ich gefragt wurde: „Wollen Sie sich als Konsistorialpräsidentin in Berlin bewerben?“

Die Leitung einer Landeskirche scheint recht komplex zu sein. Wir haben die Synode, den Bischof, die Kirchenleitung, das Konsistorium, die Konsistorialpräsidentin. Dazu Kirchenkreise und Kirchengemeinden, die auf Selbstständigkeit und Unabhängigkeit großen Wert legen.

Da haben Sie recht, „Ecclesia semper reformanda“, die Kirche reformiert sich dauerhaft und ständig. Die kirchlichen Organe sind nicht nebeneinander und gegeneinander gedacht, sondern wir sind ein verschränktes System, in dem das Konsistorium und seine Präsidentin nur ein Baustein in dem Ganzen sind. Der Bischof ist ein anderer Baustein, schließlich Kirchenleitung und Synode – alle diese Organe sind ein atmendes System des Miteinanders hin zu Gott.

In diesem „atmenden System“ wird von Ihnen als Konsistorialpräsidentin erwartet, dass Sie neue Anstöße geben, initiativ werden.

Ja, ich bringe einige Ideen aus der Diakonie Sachsen mit, was kirchliche Leitung, Initiative und Impulse betrifft. Aber ich verstehe mich nicht als Einzelkämpferin, sondern habe hier in den ersten acht Wochen ein tolles Team vorgefunden, mit dem zusammen ich Impulse setzen will.

Welche Impulse?

Eine ressourcenschonende, effizient aufgestellte kirchliche Verwaltung ist eines der Hauptziele, um den Theologinnen und Theologen in der Landeskirche zu ermöglichen, von Verwaltung entlastet Gottes Wort verkündigen zu können. Wir sind als Konsistorium zweigeteilt: Ich soll einerseits verwaltungstechnisch und klassisch hierarchisch als Präsidentin „regieren“, etwa als Dienstvorgesetzte aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier. Die andere Hälfte ist dienstleistende Verwaltungsmodernisierung. Als modernes Konsistorium sind wir Serviceorganisation für die Gemeinden mit Impulsen und Erwartungen von unten nach oben. Das wollen wir auch sein und das ist das Spannungsfeld einer kirchlichen Verwaltungsbehörde nach unserer Grundordnung.

Leiden Sie unter Fachkräftemangel?

Immer mal wieder, wie andere Behörden und Verwaltungen auch, gerade im IT-Bereich. Anders als weltliche Verwaltungen können wir aber mit Arbeitsplätzen in einer besonderen Atmosphäre punkten, weil Kirche auf Verkündigung, Sakramentsverwaltung, Diakonie und Seelsorge ausgerichtet ist. Und das wird auch spürbar in unserer Dienstgemeinschaft hier im Haus, unter anderem durch die gute theologische Leitung unserer Pröpstin, Frau Dr. Bammel. Und auch mir ist es ein wichtiges Anliegen, dass die Mitarbeitenden spüren, wie gut es tut, in unserer evangelischen Kirche zu arbeiten. Gott ist stets präsent, auch in der täglichen Arbeit.

Machen Sie es wie die Bundeswehr, die im Augenblick überall plakatiert und mit dynamischen Motiven wirbt?

Die Schönheit des Evangeliums braucht keine Werbung im marktwirtschaftlichen Sinne. Sie müssen als Konsistorialpräsidentin auf Dauer mit Mindereinnahmen in Millionenhöhe kalkulieren. Hinzu kommen die aktuelle wirtschaftliche Rezession und die fortschreitende Säkularisierung, deren Auswirkung auf die kirchlichen Finanzen wir noch nicht kennen. Ja, auch wir in der Kirche stehen vor einer notwendigen Aufgabenkritik: Was ist kirchliches Kerngeschäft, was können wir anders organisieren? Aber ich maße mir nicht an, kirchliche Arbeitsfelder gegeneinander auszuspielen. Aus theologischer Sicht ist alles wichtig, was die Kirche tut und Gottes Geist und seine Liebe zu den Menschen spürbar macht.

Die Kirche verändert sich dramatisch. Alte Mitglieder sterben, viele treten aus. Junge Mitglieder rücken kaum nach.

Man kann das als reine Verlustgeschichte beschreiben, aber das ist nicht mein Stil. Uns ist vielmehr aufgegeben, Salz der Erde und Licht der Welt zu sein, so steht es im Matthäus-Evangelium. Das heißt nicht unbedingt viel Salz, sondern gutes Salz zu sein. Und man kann auch mit weniger Menschen sehr effektiv Christ sein, also Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung in einem überzeugenden Sinne in der säkularisierten multireligiösen Welt glaubhaft machen. Dazu gehört, dass man als Christ einen eigenen Standpunkt hat, dass man sprachfähig ist, auch als einzelner Glaubender.

Wer sorgt für diese Sprachfähigkeit?

Zuerst unser Bischof Dr. Stäblein und die Geistlichen als hauptamtlich Tätige in der Landeskirche, und dann ganz besonders die Ehrenamtlichen. Sie machen in einer kleiner werdenden Kirche mit weniger finanziellen Ressourcen eindrucksvoll Lust am Glauben. Und sie können sprachfähig und überzeugend zeigen, warum sie an Gott glauben, was ihr Leben hell und klar macht.

Ehrenamtliche, auch in der Kirche, seien verkappte Lohndrücker, sagen Kritiker.

Wenn es allein um Geld ginge, würden sie sich nicht so intensiv engagieren. Sondern: Wir leben davon, dass diese Ehrenamtlichen eine hohe intrinsische Motivation mitbringen. Weil sie in der Kirche den Widerschein Gottes und dieses Menschenwürdebild spüren, das wir ihnen entgegenbringen. In der protestantischen Kirche geht es um Geist, nicht um Geld.

Sind die engagierten Christen in den Gemeinden beispielgebende Bollwerke gegen Rechtspopulismus?

Ja und nein. Kirchengemeinden sind nicht nur Vorbild, sondern auch Abbild der Gesellschaft. In Sachsen, wo ich zuletzt gelebt und gearbeitet habe, gibt es Menschen, die durchaus kirchlich engagiert sind. Vereinzelte unter ihnen haben aber gleichzeitig kein Problem damit, sonntags die Reichskriegsflagge zu schwenken und sich mit Menschen zusammenzutun, die homophob sind, Probleme mit der Gleichberechtigung von Mann und Frau haben und am liebsten eine Diktatur à la DDR hätten. Solchen Zeitgenossen müssen wir – auch als Kirchenleitung –, immer wieder unser christliches Menschenbild entgegenhalten und das, was Jesus Christus gepredigt hat. Das ist unsere rote Linie, unser Bollwerk.

Umso wichtiger ist es, mit Religionsunterricht und evangelischen Kitas präsent zu sein.

Wichtig ist für uns, dass da ein Bewusstsein auch auf staatlicher Seite ist, dass der Religionsunterricht, und zwar für Christen wie für nicht christliche Schüler, ein unglaubliches ethisches Sinnstiftungspotenzial hat und wir wirklich ein großartiges Angebot machen. Aber es muss ausfinanziert sein. Denn wir leben auch als Kirche in der Welt, nicht außerhalb von ihr. Das weiß gerade auch ein religiös-weltanschaulich neutraler Staat wie der unsrige. Insofern bin ich sehr zuversichtlich, dass wir den Religionsunterricht ausfinanziert bekommen, zum Wohle aller Schülerinnen und Schüler Berlins, Brandenburgs und der schlesischen Oberlausitz – der christlichen wie der nicht christlichen.