Kommission stellt Empfehlungen zur Frage der Abtreibung vor

Sicher eines der brisantesten Themen im Koalitionsvertrag: Soll der mühsam erzielte Kompromiss zu Paragraf 218 aufgeschnürt werden? Eine von der Regierung eingesetzte Kommission empfiehlt eine Liberalisierung.

Seit Mitte der 90er Jahre gilt in der Abtreibungsfrage ein Kompromiss, auf den sich die Bundestagsabgeordneten im Zuge der Deutschen Einheit verständigt hatten: Demnach ist ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich rechtswidrig; er bleibt jedoch straflos, wenn er in den ersten zwölf Wochen vorgenommen wird. Zudem muss die Frau sich zuvor beraten lassen, und zwischen Beratung und Abbruch müssen mindestens drei Tage liegen. Ausdrücklich nicht rechtswidrig ist eine Abtreibung nach einer Vergewaltigung, bei Gefahr für das Leben oder die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren. 

Nach Empfehlungen einer Kommission, die die Bundesregierung vor einem Jahr eingesetzt hatte, soll sich das ändern: Das Gremium empfiehlt in seinem am Montag veröffentlichten und über 600 Seiten umfassenden Abschlussbericht eine Liberalisierung. „Die grundsätzliche Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs in der Frühphase der Schwangerschaft ist nicht haltbar.“ Die aktuellen Regelungen im Strafgesetzbuch hielten einer „verfassungsrechtlichen, völkerrechtlichen und europarechtlichen Prüfung“ nicht Stand.

Auch für die mittlere Phase der Schwangerschaft, die 12. bis 22. Woche, sieht die Kommission einen Spielraum für den Gesetzgeber mit Blick auf eine Abtreibung. Ausdrücklich rechtswidrig sei ein Abbruch in der Spätphase, also ab der 22. Woche. Bei medizinischer oder kriminologischer Indikation müsse es zudem weiterhin Ausnahmen geben, auch in späteren Phasen der Schwangerschaft.

Das Gremium begründet seine Empfehlungen mit einem verfassungsrechtlichen Spielraum: Es gebe gute Gründe dafür, dass die volle Garantie der Menschenwürde erst ab Geburt gelte. Wegen der existenziellen Abhängigkeit des Ungeborenen vom Körper der Schwangeren spreche vieles dafür, dass „das Lebensrecht pränatal mit geringerem Schutz zum Tragen kommt als für den geborenen Menschen“. Von der Einnistung der befruchteten Eizelle bis zur eigenen Lebensfähigkeit des Kindes gebe es „ein gleichbleibend geringes Schutzniveau oder ein Konzept des pränatal gestuften oder kontinuierlich anwachsenden Lebensrechts“.

Den Gesetzgeber fordert die Kommission auf, den so begründeten Spielraum zu nutzen. Zu den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts, das in den 90er Jahren eine liberalere Gesetzgebung wieder kassiert hatte, erklärt die Kommission, ihnen komme keine formale Bindungswirkung zu. Zudem müsse sich Karlsruhe – wenn das Gericht erneut angerufen würde – mit Blick auf neue Erkenntnisse auf völkerrechtlicher Ebene und zunehmend menschenrechtlich basierter Forderungen nach einer Entkriminalisierung von Abtreibungen neu äußern. Auch global gesehen gebe es – mit Ausnahme von Polen und einigen US-Bundesstaaten – einen deutlichen Trend zur Liberalisierung, so die Kommission.

Die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf ergänzte, die Überzeugungskraft der bislang dazu getroffenen Urteile sei „überschaubar“. Die Urteile würden heute so nicht mehr getroffen. Die Kommission wolle keine gänzliche neue Debatte anstoßen oder die Gesellschaft spalten. „Wir glauben, die Debatte ist schon auf dem Tisch“, so die Kommission.

Die Kommission erhofft sich von einer Liberalisierung zudem eine Verbesserung der medizinischen Situation. Derzeit sei das Thema Abtreibung für viele Ärzte mit einem Stigma verbunden, weil die Regelung im Strafrecht verordnet sei. Jeder Arzt müsse sich gut überlegen, „ob er sich mit einem Fuß der Strafverfolgung aussetzt“.

Über die Arbeit der Schwangerenkonfliktberatungsstellen zeigte sich die Kommission sehr beeindruckt. Sie plädierte zugleich dafür, dass eine Pflicht zur Beratung entfallen solle. Die Stellen selbst könnten sich dann auch stärker auf ihre unterstützende Beratung konzentrieren.

Die beiden großen Kirchen positionieren sich erstmals unterschiedlich in der Frage: Während die evangelische Kirche ein abgestuftes Lebensschutzkonzept vertritt, plädiert die katholische Kirche dafür, den mühsam erreichten Kompromiss nicht anzutasten.

Die Bundesregierung muss nun entscheiden, ob sie einen Gesetzentwurf erarbeitet will. Wenn sie die Empfehlungen umsetzen will, muss sie sich sputen, damit der Bundestag noch in dieser Legislaturperiode über ein Gesetz entscheiden kann. Etliche Fachleute gehen allerdings davon aus, dass sich der Reformeifer bei den meisten Ministern und Ministerinnen in Grenzen halten dürfte – auch deshalb, weil die Bedenken groß sind, dass das Gesetz erneut vom Bundesverfassungsgericht einkassiert wird.

Zudem hat die Regierung mit Blick auf die Abtreibungsfrage erste „Hausaufgaben“ aus dem Koalitionsvertrag abgearbeitet: Als eines der ersten Gesetze wurde der Paragraf 219a gestrichen, das sogenannte Werbeverbot für Abtreibungen. Und die Gesetzgebung zum Verbot der sogenannten Gehsteigbelästigung, also bestimmter Protestformen vor Beratungsstellen oder Arztpraxen, ist bereits im parlamentarischen Verfahren.