Körper in Bewegung

Eine futuristische Gestalt streift durch Wald, Feld und Wiesen. Die hochgewachsene Frau trägt eine Art Korsett aus weißen Bandagen. Auf dem Kopf balanciert sie ein etwa eineinhalb Meter langes, schwertförmiges Objekt. „Sie war wie eine Erscheinung“, so erinnert sich Rebecca Horn später an die Kommilitonin, die sich 1970 in der von ihr entworfenen Körperkonstruktion filmen ließ.

Mit ihren „Körperextensionen“ erregte Horn schon zum Ende ihres Kunststudiums in Hamburg Aufsehen. Mithilfe von Apparaten, Gestellen und Prothesen lotete sie die Grenzen des menschlichen Körpers aus – zum Beispiel, wenn sie mit meterlangen Handschuhfingern Räume abschritt und dabei an den Wänden entlang kratzte. Am 24. März wird Horn 80 Jahre alt.

Zunächst hielt sie ihre Performances in Fotografien fest, dann begann sie, sie zu filmen: ein wichtiger Schritt in die multimediale Arbeitsweise. „Mit ihrem transmedialen Denken ist Rebecca Horn eine Schlüsselfigur auch für die Kunst des 21. Jahrhunderts“, urteilt die Kunsthistorikerin Jana Baumann, Kuratorin einer großen Rebecca-Horn-Ausstellung, die ab dem 26. April im Münchner Haus der Kunst zu sehen ist. In Horns Werk verschränken sich die unterschiedlichsten Medien miteinander: Performances, Filme, Fotografien, Zeichnungen, Gouachen, mechanische Skulpturen, Installationen, Gedichte und Drehbücher. Als erste Frau erhielt sie 1989 eine Professur an der Berliner Hochschule für Bildende Künste.

Horn wurde 1944 im hessischen Michelstadt im Odenwald geboren. Nach dem Abitur begann sie zunächst mit einem Volkswirtschaftsstudium, das sie auf den Eintritt in das elterliche Textilunternehmen vorbereiten sollte. Sie wechselte jedoch bald an die Hamburger Kunsthochschule. Während des Studiums zog sie sich eine Lungenvergiftung zu, als sie beim Gießen einer Skulptur die giftigen Dämpfe von Polyesterharz einatmete. Über ein Jahr musste sich die Künstlerin danach in einem Sanatorium erholen.

In der Isolation des Kuraufenthaltes entwickelte sie die Ideen für ihre „Bodysculptures“. Im Krankenbett zeichnete sie und nähte Entwürfe. Zurück in Hamburg inszenierte sie die ersten Performances. Mit Erfolg: Bereits 1972 nahm sie als jüngste Teilnehmerin an der documenta 5 in Kassel teil – es war der Einstieg in eine internationale Karriere. Kurz nach der documenta ging sie für knapp zehn Jahre nach New York. 1993 widmete das New Yorker Guggenheim Museum ihr als erster Frau eine Solo-Schau.

Horn gehe mit ihren Arbeiten der Frage nach, wie der Mensch in der technisierten Welt vernetzt sei, erklärt Baumann. „Dieses Thema greift sie sehr früh bereits in den 1970er Jahren nahezu visionär auf.“ Sie habe damals bereits Fragen vorweggenommen, die heute aktuell seien angesichts des Fortschritts Künstlicher Intelligenz und der biologischen Überwindung des menschlichen Körpers durch neue Technologien.

Bewegung ist ein zentrales Element in Horns Werk. Sie schuf kinetische Objekte, also mechanische Skulpturen, die sich bewegen, wie Schmetterlingsflügel oder Fächer aus Federn, die auf- und zuklappen. Eine ihrer bekanntesten Arbeiten: Ein Konzertflügel, der umgedreht an der Decke hängt und in regelmäßigen Abständen seine an Stäben hängenden Tasten ausspuckt.

Musikinstrumente und Elemente aus der Natur spielen in ihrem Werk eine große Rolle. Auch in ihren Filmen tauchen die Motive ihrer skulpturalen Arbeiten immer wieder auf, etwa in ihrem ersten Spielfilm „Der Eintänzer“ (1978) oder ihrem bekanntesten Film „Buster’s Bedroom“ (1990). Darin geht es um den Komiker Buster Keaton in einem Sanatorium in der kalifornischen Wüste.

In den 80er und 90er Jahren erschuf Horn große Raumarbeiten, die die politische Ebene ihres Werks verdeutlichen. So setzte sie 1994 den Kriegsflüchtlingen aus dem Balkan in Wien mit dem „Turm der Namenlosen“ ein Denkmal aus mechanisch spielenden Geigen. In Weimar entstand 1999 in einem alten Straßenbahndepot die Installation „Konzert für Buchenwald“: Gebrauchte Musikinstrumente und Instrumentenkoffer sind auf Schienen gestapelt. „Die Skulpturen einer Installation bewahren in verkapselter Form Geschichten und Erfahrungen“, so beschreibt die Künstlerin die historische Dimension ihrer Arbeiten.

In den Kuppeln der Wandelhalle des Bundesratsgebäudes in Berlin installierte Horn, Trägerin zahlreicher Kunstpreise, drei riesige rotierende goldfarbene Stäbe und darunter einen runden Spiegel im Boden. „Es ist wichtig, dass hier etwas ist, was eine Öffnung hat, eine Möglichkeit des Bewegens, des Umdenkens“, sagte sie.

Inzwischen kehrte die Künstlerin zu ihren Wurzeln im Odenwald zurück, nach Bad König. 1990 hatte sie sich dort bereits in einem geerbten Haus eine Werkstatt eingerichtet. Später kaufte sie das gesamte frühere Anwesen ihrer Familie mit neun Gebäuden zurück. Es ist nun Sitz der von ihr gegründeten „Moontower Foundation“, die auch junge Künstlerinnen und Künstler fördert.