“Knife” – Salman Rushdie stellt wohl persönlichstes Werk vor

Vor einem Monat erschien ein mit Spannung erwartetes Buch: Salman Rushdie erinnert sich an jenes Attentat, das ihn im Sommer 2022 fast das Leben gekostet hätte. Nun tritt der Schriftsteller damit in Berlin auf.

Der Essay beginnt beinahe lakonisch: “Am 12. August 2022, einem sonnigen Freitagmorgen um Viertel vor elf, wurde ich von einem jungen Mann mit einem Messer angegriffen und beinahe getötet”, schreibt Salman Rushdie. Einer der größten lebenden Schriftsteller verbrachte Wochen in Krankenhäusern, danach Monate mit Reha-Maßnahmen. Jene Zeit zwischen Angst und Hoffnung, Schmerz und Anteilnahme, Zweifel und Triumph hat er literarisch verarbeitet – das Buch “Knife” ist weltweit in 15 Sprachen erschienen. Am Abend ist Rushdie für eine einzige Lesung in Deutschland zu Gast, im Deutschen Theater Berlin.

Schon auf den ersten Seiten wandelt sich die Stimmung: Unheilvoll klingt es, wenn Rushdie anmerkt, der Attentäter habe sich bereits am Vorabend der Tat auf dem Veranstaltungsgelände befunden: “Wir hätten ihm jederzeit zufällig über den Weg laufen können.” Zugleich ist der Band durchsetzt von Humor, mitunter rabenschwarz, etwa wenn Rushdie sich selbst attestiert, er habe sich – in Schockstarre während des Angriffs, der ganze 27 Sekunden andauerte – “wie eine Pinata” in keiner Weise gewehrt.

Später lässt die Lektüre nach Luft schnappen, vor allem, wenn Rushdie die Verzweiflung seiner Familie schildert. Seine Ehefrau machte sich auf den Weg zu ihrem schwer verletzten Mann – im Ohr einen Satz aus einem Telefonat mit dem Krankenhaus: “Er wird es nicht schaffen.” Wie seine Lieben ihn pflegten, ermutigten, unterstützten, schildert der Autor mit einer Warmherzigkeit, die alle Beteiligten sehr nahe rücken lässt.

Auch erfährt man viel darüber, wie die Gedankenwelt des Schriftstellers funktioniert. Als Rushdie im vergangenen Herbst den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt, betonte Daniel Kehlmann in seiner Laudatio, wie belesen, weltoffen, vielseitig interessiert sein Freund und Schiftsteller-Kollege sei. Hier zitiert dieser neben Literaten und Philosophen auch Kalendersprüche, schildert, wie er in den wachen Momenten unmittelbar nach dem Angriff “wahllosen Unsinn” gedacht habe, kritisiert aber auch nachdrücklich, wie Paparazzi seine Familie bedrängten.

Rushdie, 1947 als Sohn muslimischer Eltern geboren, wurde 1989 vom iranischen Revolutionsführer Ayatollah Khomeini mit einer Fatwa zum Tode verurteilt; jahrelang lebte der Autor unter Polizeischutz in verschiedenen Verstecken. Er wolle nicht “erneut im Narrativ des Skandals” leben, betont er nun. Nach der Fatwa habe er weder “verängstigte” noch “Rachebücher” schreiben wollen – und doch sei er “für die Missgeschicke in meinem Leben berühmter als für meine Bücher”, konstatiert er, ein bisschen bedauernd, ein bisschen selbstironisch.

Staunend lässt einen in diesem Wechselbad aus Eindrücken, Erfahrungen und widerstreitenden Gefühlen zurück, wie gelassen Rushdie sich gegenüber dem Attentäter positioniert. Dieser sehe auf “beinahe liebenswerte Art jung” aus, heißt es einmal; in einem fiktiven Dialog spricht er seinen “Beinahe-Mörder” an als “mon semblable, mon frere”, also “mein Mitmensch, mein Bruder”. Ein Termin für den Beginn des Prozesses gegen “A.”, wie der Beschuldigte hier meist genannt wird, steht noch aus; ihm drohen 25 Jahre Haft. Die Abkürzung kann laut Rushdie ebenso für “Angreifer” stehen wie für ein gängiges Schimpfwort.

Religion wird im Buch mehrmals thematisiert. Zwar hätten ihn “christliche Kunst, Architektur, Musik, gar das Alte Testament” ebenso geprägt wie ihre muslimischen und hinduistischen Pendants, schreibt Rushdie, doch: “Meine Gottlosigkeit bleibt intakt. Und daran wird sich auch in meinem zweiten Leben nichts ändern.”

Um so verletzlicher zeigt sich der Schriftsteller, wenn er etwa die Wirkung einer Videoaufnahme beschreibt, die ihn in den ersten Tagen im Krankenhaus zeigt: “Hätte ich gewusst, wie schlimm ich aussah, wie ernst meine Verletzungen waren, ich hätte vielleicht nicht mehr die Kraft aufgebracht weiterzumachen.” Mit dem Verlust seines rechten Auges habe er sich bis heute nicht abgefunden.

Gewidmet ist das Buch jenen, die sein Leben gerettet haben. Zu ihnen zählt etwa ein “der Daumen” genannter Feuerwehrmann, der noch am Tatort seinen Daumen auf eine große Verletzung in Rushdies Nacken drückte, um die Blutung zu stoppen. “So begegnete mir an jenem Morgen in Chautauqua nahezu gleichzeitig das Schlimmste und das Beste am Menschen”: Diese Erkenntnis macht Mut, und nicht nur Rushdie-Fans werden diese gut 250 dichten, eindrucksvollen Seiten mit Gewinn lesen. Das Attentat erscheine ihm inzwischen wie ein “großer roter Tintenklecks” im Buch des Lebens, erklärt der Autor: “Hässlich, gewiss”, aber “man konnte umblättern und weitermachen”.