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Klöckner: Haben das “Wehret den Anfängen” vergessen

Mit Blick auf offenen Antisemitismus in Deutschland hat Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) die lange Untätigkeit von Politik und Gesellschaft kritisiert. Autoritäres Denken finde in Deutschland wieder Anschluss, jüdisches Leben werde erneut bedroht, sagte die Politikerin beim Festakt zum 80. Gründungstag der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) München und Oberbayern laut Redemanuskript am Dienstagabend. „Wir haben diese Unfreiheiten zugelassen und ‘Wehret den Anfängen’ vergessen“, beklagte Klöckner in der Ohel-Jakob-Synagoge.

Aus Furcht vor Übergriffen müssten jüdische Menschen in Deutschland ihre Religion wieder verschweigen, sagte die Bundestagspräsidentin bei der Festveranstaltung. Doch wenn Menschen ihren Glauben verstecken müssten, sei „längst wieder etwas aus dem Gleichgewicht geraten“. Diese Entwicklung habe die Gesellschaft durch zu langes Schweigen befördert, „insbesondere wenn Antisemitismus als ‘Israelkritik’ verharmlost wurde“. Judenhass käme in Deutschland „von rechts, von links, und oft aus religiösem Eifer“, erklärte Klöckner. Eine tolerante Gesellschaft dürfe das nicht hinnehmen.

Dass es in München heute eine lebendige jüdische Gemeinde mit einem selbstbewussten Zentrum im Herzen der Stadt gebe, sei das Verdienst von Charlotte Knobloch, seit 40 Jahren IKG-Präsidentin, und „all derer, die vor 80 Jahren den Mut hatten, einen Neuanfang zu wagen“, sagte die Bundestagspräsidentin. Die Wiedergründung der jüdischen Gemeinde im Juli 1945 habe „denkbar schlechte Bedingungen“ gehabt: Bei Juden im Ausland habe die Idee, im Land der Täter neue Wurzeln zu schlagen, für Unverständnis gesorgt, bei vielen Deutschen herrschte Antisemitismus, sagte Klöckner.

Auch beim Amtsantritt von Charlotte Knobloch 1985 sei die Vergangenheit keineswegs bewältigt gewesen, sondern „gerade erst ins Sprechen gekommen“. In diesen Zeiten voranzugehen und Haltung zu zeigen, sei „mutig und prägend“ gewesen. Jüdisches Leben in Deutschland müsse heute nicht nur geschützt und bewahrt werden, so die Politikerin. Die Gesellschaft müsse es vor allem als „eine Geschichte reicher Kultur“ würdigen und wertschätzen.

Die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern wurde am 15. Juli 1945 von Holocaust-Überlebenden wie Julius Spanier und Fritz Neuland, dem Vater von Charlotte Knobloch, wiedergegründet. Heute ist sie mit rund 9.300 Mitgliedern die größte jüdische Gemeinde in Deutschland. (2322/15.07.2025)