Es ist ein Rechtsgutachten, das den Klimaschutz weltweit prägen könnte: Am Mittwoch veröffentlicht der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag seine Position zu den völkerrechtlichen Pflichten von Staaten zum Schutz des Klimasystems. Antworten auf die wichtigsten Fragen im Überblick:
* Um was geht es?
Im Kern wurde der Internationale Gerichtshof von der UN-Vollversammlung damit beauftragt, zwei Fragen zu beantworten: Welche völkerrechtlichen Verpflichtungen haben Staaten beim Schutz des Klimasystems, auch mit Blick auf zukünftige Generationen? Und welche Konsequenzen folgen daraus für Staaten, die durch ihre Handlungen oder Versäumnisse entscheidend zum Klimawandel beigetragen haben?
Dabei müssen die 15 Richterinnen und Richter des IGH diese Fragen mit Blick auf bestehende Verträge wie das Pariser Klimaabkommen sowie internationale Menschenrechtsnormen klären.
* Welche Folgen hat das Gutachten?
Regierungen, aber auch Aktivisten sowie Klima- und Umweltorganisationen dürften am Mittwoch gespannt nach Den Haag blicken – denn das Gutachten wird politische Signalwirkung entfalten „und kann zur Rechtsfortbildung beitragen“, wie es in einem Beitrag des Fachmagazins „Legal Tribune Online“ heißt.
Der Völkerrechtler Markus Gehring misst dem Gutachten ebenfalls eine große Bedeutung bei. Auf politischer Ebene werde es die Klimaverhandlungen unter dem Dach der Vereinten Nationen prägen, sagt Gehring, der an der britischen University of Cambridge forscht und lehrt. Zudem könne es in Zukunft bei Streit zwischen Staaten zur Anwendung kommen. Die Position aus Den Haag könne hier die Forderung von pazifischen Inselstaaten untermauern, die wegen des steigenden Meeresspiegels auf finanzielle Entschädigung dringen.
Nicht zuletzt werde das Gutachten die Entscheidungen nationaler Gerichte entscheidend beeinflussen, etwa wenn Konzerne aufgrund klimaschädlicher CO2-Emissionen zur Verantwortung gezogen werden sollen, sagt Gehring, der zum Oktober eine Professur in Cambridge antritt. „Kein Gericht kann ein völkerrechtliches Gutachten des Internationalen Gerichtshofs einfach ignorieren“, unterstreicht der Jurist. Was genau aus dem Gutachten folgt, hängt letztlich natürlich von der darin vertretenen Position ab. Unter anderem die USA und Saudi-Arabien hätten gegen eine starke völkerrechtliche Verpflichtung argumentiert, sagt Gehring und warnt: Sollte das Gericht dieser Einschätzung folgen, drohe gar ein Rückschlag für den Klimaschutz.
* Kann das Gutachten Regierungen direkt zu mehr Klimaschutz zwingen?
Nein, denn anders als Urteile des IGH in bilateralen Streitfällen sind die Gutachten für einzelne Staaten nicht unmittelbar bindend. „Regierungen können dadurch nicht unmittelbar zu mehr und effektiveren Klimaschutzmaßnahmen verpflichtet werden“, sagt Gehring. Die Wirkung entfalte sich indirekt und über Umwege – zum Beispiel eben über die Urteile nationaler oder internationaler Gerichte, die auf das Gutachten Bezug nehmen.
Darauf hofft Vishal Prasad, Direktor der Klima-Allianz von Studierenden pazifischer Inselstaaten. Das Gutachten könne festhalten, dass der mangelnde Klimaschutz großer Emittenten nicht nur politisches Versagen sei, sondern ein Verstoß gegen das Völkerrecht, sagt Prasad. Dies würden von der Klimakrise bedrohte Gemeinschaften auch in Gerichtsverfahren stärken.
* Wie kam es zu dem Gutachten und was ist bisher passiert?
Der Internationale Gerichtshof wurde im März 2023 von der UN-Vollversammlung mit der Erstellung des Gutachtens beauftragt. Federführend war hierbei der pazifische Inselstaat Vanuatu, der auch bei den UN-Klimagipfeln immer wieder auf entschiedenere und ambitioniertere Maßnahmen gegen die Erderwärmung dringt.
Insgesamt 91 schriftliche Stellungnahmen sind bei dem Gericht eingegangen, mehr als jedem anderen Gutachten zuvor. Bei einem Treffen mit Mitgliedern des Weltklimarats (IPCC) wurde auch wissenschaftliche Expertise eingeholt. Vergangenen Dezember schließlich legten 96 Staaten und elf internationale Organisationen ihre Position dem Gericht bei einer mündlichen Anhörung dar. Das große Interesse der Staatengemeinschaft unterstreicht die Bedeutung des Gutachtens.