Kirsten Fehrs lenkt weiter Geschicke der evangelischen Kirche
Missbrauch, Migration und gesellschaftliche Spaltung: Vor der nun offiziell bestätigten EKD-Ratsvorsitzenden Kirsten Fehrs liegen große Herausforderungen. Einen Vorwurf gegen sie weist die Kirche zurück.
Es war wohl einer der schwersten Momente in ihrer bisherigen Zeit an der Spitze der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Im Januar musste Bischöfin Kirsten Fehrs eine über 800 Seiten starke Missbrauchsstudie aus den Händen unabhängiger Forscher entgegennehmen. Von bundesweit tausenden Betroffenen ist darin die Rede. Zudem stellen die Autoren Kirche und Diakonie im Umgang mit sexualisierter Gewalt ein schlechtes Zeugnis aus. Fehrs bat damals die Betroffenen um Entschuldigung für das Versagen der Kirche und versprach, weitere Maßnahmen zur Veränderung und vor allem einen Kulturwandel auf den Weg zu bringen.
An diesem Versprechen muss sich Fehrs nun messen lassen. Am Dienstag ist sie offiziell in ihrem Amt als Vorsitzende des Rats der EKD bestätigt worden. Bei der Tagung des Kirchenparlaments in Würzburg wurde die Hamburger Bischöfin an die Spitze des Leitungsgremiums gewählt, das die evangelische Kirche in der Öffentlichkeit vertritt. Ihre Amtszeit dauert regulär bis 2027.
Die 63-Jährige hatte das Amt bereits seit knapp einem Jahr kommissarisch inne, nachdem die frühere Ratsvorsitzende Annette Kurschus zurückgetreten war. Kurschus hatte damit auf Vorwürfe reagiert, mit einem mutmaßlichen Missbrauchsfall falsch umgegangen zu sein. Der Fall wird aktuell noch aufgearbeitet.
Kurz vor ihrer Wahl wurden auch gegen Fehrs Vorwürfe laut. Bei der Tagung des Kirchenparlaments war am Montagnachmittag eine “Anwältin des Publikums” vor Ort, um Missbrauchsbetroffene zu Wort kommen zu lassen. Sie las die E-Mail eines Mannes vor, in der er Fehrs beschuldigt, sie habe als Hamburger Bischöfin den Aufarbeitungsprozess einer Betroffenen in der Nordkirche bewusst scheitern lassen.
Der Mann hatte sich bereits im August mit einem Brief an alle Synodalen und Ratsmitglieder gewandt. Die EKD wies die Vorwürfe zurück. Der Fall werde in der Nordkirche konsequent aufgearbeitet. Ein Fehlverhalten der Bischöfin sei nicht erkennbar. Die Mehrheit der Wahlberechtigten fand das offenbar überzeugend.
Mit dem Thema sexualisierte Gewalt ist Fehrs schon lange befasst. Als sie 2011 Bischöfin in Hamburg wurde, war ihre Vorgängerin Maria Jepsen ebenfalls wegen Vorwürfen in einem Missbrauchsfall zurückgetreten. Fehrs gab darauf eine der ersten Aufarbeitungsstudien im kirchlichen Kontext in Auftrag.
Auf EKD-Ebene war Fehrs als langjähriges Ratsmitglied maßgeblich daran beteiligt, die bundesweite Missbrauchsstudie auf den Weg zu bringen. Manche Betroffene sprechen von einer guten Zusammenarbeit mit der Bischöfin. “Ich nehme ihr ab, dass sie es ernst meint mit der Aufklärung”, sagte der Sprecher der Betroffenen im EKD-Beteiligungsforum, Detlev Zander, im vergangenen Jahr dem “Spiegel”.
Fehrs, die seit über 30 Jahren mit einem Pastor verheiratet ist, stammt aus dem Westen Schleswig-Holsteins und wurde 1990 zur Pastorin ordiniert. Ab 2006 war sie Pröpstin im Kirchenkreis Hamburg-Ost und Hauptpastorin an der Hauptkirche Sankt Jacobi.
Immer wieder mischt sich die medienaffine Geistliche in gesellschaftspolitische Debatten ein. In einem Interview verteidigte sie kürzlich die Tradition des Kirchenasyls für Geflüchtete. “Unsere Gemeinden leisten damit nicht nur Nothilfe, wenn Menschen bei drohender Abschiebung Gefahr für Leib und Leben droht. Sie leisten damit auch einen Dienst zur bleibenden Humanität einer Gesellschaft insgesamt, indem sie Gerechtigkeitslücken identifizieren.” Auch eine noch so gute Rechtsprechung könne fehlerhaft sein, so Fehrs.
Anfang des Jahres beteiligte sie sich an mehreren der großen Demonstrationen gegen Rechts. Zugleich ging sie auf Distanz zur AfD. Die Partei propagiere eine menschenverachtende Politik und werde wahrscheinlich in naher Zukunft verfassungsrechtlich als rechtsextrem eingestuft, sagte sie in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). “Das ist mit Kirchenämtern nicht vereinbar.”
Angesicht des Mitgliederverlusts der Kirche plädiert Fehrs für eine engere Zusammenarbeit von Kirche und Diakonie. “Wenn es in Zukunft noch um eine flächendeckende Präsenz von evangelischer Kirche gehen soll, dann ist das nicht allein die Kirche im Dorf, sondern auch die Pflegeeinrichtung der Diakonie nebenan.”
Als Ratsvorsitzende hat Fehrs nun die Chance, sich federführend um solche Veränderungen zu kümmern. In Sachen Missbrauch will das Kirchenparlament, die Synode, am Mittwoch zahlreiche Maßnahmen beschließen. Die Schaffung eines bundesweit einheitlichen Verfahrens für Anerkennungszahlungen an Betroffene hat es bereits auf den Weg gebraucht. Die Umsetzung liegt nun ebenfalls in Händen des Rats und seiner Vorsitzenden.