Demut und Zurückhaltung – das fordert die Pfälzer Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst beim Kirchenempfang für die Bundesgerichte in Karlsruhe. Am gefährlichsten sei derjenige, der Angst vor dem Machtverlust hat.
Die Ausübung von Macht in Kirche, Politik und Gesellschaft bewegt sich nach der Erfahrung der pfälzischen Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst immer im Spannungsfeld zwischen Gestaltungskraft und Missbrauch. Die größte Gefahr, Macht missbräuchlich oder übergriffig einzusetzen, laufe derjenige, der Angst habe, seine Macht zu verlieren, sagte Wüst am Dienstag in Karlsruhe beim Kirchenempfang für die Bundesgerichte.
“Erst wer innerlich bereit ist, die Macht loszulassen, gewinnt Freiheit im Umgang mit ihr. Wer nicht fixiert ist auf das eigene Standing, ist in der Lage, andere ernsthaft in den Blick zu nehmen”, sagte Wüst laut Redemanuskript. Nur wer sich aufrichtig der “ambivalenten Macht der Macht” stelle, gewinne einen souveränen und glaubwürdigen Umgang mit ihr. Wüst nannte Demut als entscheidenden Charakterzug, um nicht der Versuchung von Macht zu erliegen.
Die Kirchenpräsidentin erinnerte an Missbrauch und Machtmissbrauch im Raum der Kirchen, beispielsweise bei sexualisierter Gewalt und deren Verschleierung. In der kirchlichen Jugendarbeit seien junge Menschen zu “Freiwild für Narzissmus” geworden. “Weitestgehend unbeachtet von der Welt der Erwachsenen unter dem Motto, ‘Es ist nicht, was nicht sein kann'”, sagte Wüst. Im Blick auf Missbrauch in kirchlichen Heimen sprach die Kirchenpräsidentin von “hermetischen Gewalträumen von Kinderheimen”.
Wüst bekannte sich zur anhaltenden Aufarbeitung von Machtmissbrauch. “Die Aufarbeitung von Schuld steht den betroffenen Personen ohne Wenn und Aber zu.” Bei der Pflicht zur Aufarbeitung könne dann die Chance entstehen, die Verwendung von Macht zu hinterfragen und auf den Prüfstein zu stellen. Kirche müsse eine machtbewusste und machtsensible Institution sein.
Eindringlich rief die Kirchenpräsidentin alle Seelsorgerinnen auf, immer zurückhaltend aufzutreten und Macht nur so einzusetzen, um “das Gegenüber zum Leben zu ermächtigen”. Seelsorge sei nicht “der Ort guter Ratschläge, auch nicht geistlicher Besserwisserei oder moralischer Imperative und schon gar nicht laienhafter Grenzverwischung zu psychotherapeutischen Professionen”.
Wüst sprach beim Jahresempfang des Foyers Kirche und Recht. Das 2007 gegründete und ökumenisch getragene Forum will Gesprächsangebote, aber keine Lobbyarbeit für die Kirchen machen. Rund vier Mal im Jahr organisieren die Kirchen Foyerabende. Höhepunkt der Arbeit ist der Jahresempfang für Bundesverfassungsgericht, Bundesgerichtshof, Generalbundesanwaltschaft und die bei den Gerichten zugelassenen Rechtsanwälte. Finanziert wird das Foyer in Absprache mit der katholischen Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Hälfte vom Erzbistum Freiburg und von der Badischen Landeskirche.