Kirchenpräsident Jung nennt Studienergebnisse erschütternd

Als zum Teil „erschütternd“ bezeichnete der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung die Ergebnisse der ForuM-Studie zu sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche und Diakonie. Die Studie gebe wichtige Hinweise, um Risiken in den kirchlichen Strukturen, die Missbrauch begünstigen, zu erkennen und vorbeugend zu arbeiten, sagte er am Donnerstag in Darmstadt dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Von mindestens 2.225 Betroffenen und 1.259 mutmaßlichen Tätern geht das von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beauftragte unabhängige Forscherteam aus, das am Donnerstag in Hannover die sogenannte ForuM-Studie vorgestellt hat. In einer Hochrechnung, die mit „sehr großer Vorsicht“ betrachtet werden müsse, ergebe sich eine Zahl von 9.355 Betroffenen bei geschätzt 3.497 Beschuldigten.

In der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) sind nach eigenen Angaben für den erfragten Zeitraum zwischen 1945 und 2020 insgesamt 45 Verdachts- und bestätigte Fälle für die Studie gemeldet worden. Dabei gehe es ausschließlich um Fälle, bei denen eine erwachsene Person sexualisierte Gewalt an Minderjährigen ausgeübt hat. Die Beschuldigten und Täter seien „überwiegend Pfarrpersonen“, alle seien haupt- oder ehrenamtlich bei der EKHN beschäftigt.

Die EKHN habe für die Studie innerhalb von vier Monaten 75.000 Seiten in Disziplinar- und Beschwerdeakten durchgearbeitet. Auch Einsicht in die Personalakten sei möglich, aber ein gezieltes Durcharbeiten erfordere wesentlich mehr Zeit, sagte der Kirchenpräsident.

Besonders überrascht hätten ihn die Studienergebnisse allerdings nicht, sagte Jung. Die EKHN sei bereits seit 2010 mit dem Thema Missbrauch und Prävention intensiv beschäftigt. Ein Problem seien unter anderem besondere Abhängigkeitsverhältnisse, die sich durch Betreuungssituationen wie etwa Konfirmandenunterricht oder Kirchenmusik ergeben. Gerade in einer Institution, die wie die EKHN stark in der Bildung engagiert sei, seien solche Lehrer-Schüler-Verhältnisse sehr häufig.

Die Studie nennt als evangelische Besonderheit, die sexualisierte Gewalt ermöglicht, unter anderem eine „Diffusion der Verantwortung“. Nach den Worten von Jung gehören Partizipation und Beteiligung zur EKHN. Allerdings müsse immer klar sein, wer Verantwortung trägt. An diesem Punkt müsse man noch einmal schauen, ob das immer der Fall sei.

Sollten durch die Studie sich weitere Betroffene ermutigt fühlen, sich bei der Kirche zu melden, begrüße er das sehr, sagte der Kirchenpräsident: „Wir werden alles dransetzen, Verdachtsfällen nachzugehen und Fälle aufzuarbeiten.“