Kirchenhistoriker: Toleranzstädte im Norden sind Kulturerbe

Was für Börteboote und Biikerennen gilt, soll auch den historische bedeutsamen Toleranzstädten zugute kommen, sagt der Kieler Professor. In Städten wie Glückstadt, Friedrichstadt und Rendsburg wurde früh religiöse Freiheit garantiert.

Im Nebel: die evangelische St.-Christophorus-Kirche in Friedrichstadt mit ihrem Feldsteinturm
Im Nebel: die evangelische St.-Christophorus-Kirche in Friedrichstadt mit ihrem FeldsteinturmSonja Wenzel

Kiel. Der Kieler Kirchenhistoriker Tim Lorentzen hat vorgeschlagen, die norddeutschen Toleranzstädte zum immateriellen Kulturerbe erklären zu lassen. Neben der Orgelkultur seien die religiösen Toleranzstädte prägend für die Kultur in Schleswig-Holstein, sagte der Theologie-Professor der Evangelischen Zeitung. Auf der Kulturerbe-Liste stünden bislang nur weltliche Fertigkeiten und kulturelle Errungenschaften wie das Ringreiten, das Biikebrennen oder die Börteboote von Helgoland.

Im 17. Jahrhundert gründeten sich mit Glückstadt, Friedrichstadt, Rendsburg und dem damals noch selbstständigen Altona die sogenannten Toleranzstädte, in denen religiöse Freiheit garantiert wurde. Einen erfolglosen Versuch gab es noch in Plön.

Vom Krieg geprägt

Die Gründungen seien in einem Jahrhundert passiert, das vom 30-jährigen Krieg geprägt gewesen sei, in dem sich die Menschen aus religiösen Gründen bekämpften, so Lorentzen. Es seien nicht allein wirtschaftliche Überlegungen gewesen, denn dann hätte es ja auch in anderen Regionen eine solche Entwicklung gegeben. „Die wirtschaftlichen Gründe sind verschränkt mit der religiösen Toleranz.“

Tim Lorentzen, Professor für Kirchengeschichte in Kiel
Tim Lorentzen, Professor für Kirchengeschichte in KielWolfgang Lasch-Pittowski

Allen Orten gemeinsam ist nach den Worten Lorentzens, dass es städtische Neugründungen gewesen seien. Die Remonstranten in Friedrichstadt etwa seien als religiös verfolgte Gruppierung gekommen. Diese Erfahrung der Verfolgung habe die Toleranz befördert. So sei hier später eine Mikwe für rituelle jüdische Bäder im Gemeindehaus der Remonstranten eingerichtet worden. „Es war die einzige Mikwe in einem christlichen Gebäude.“ Dies sei im Jahr 1929 geschehen, als die Westküste schon Hochburg der Nationalsozialisten war.


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Auch die Mennoniten hätten einen Beitrag geleistet. Zur ihrer Gemeindeordnung zählte die strenge Absonderung von der „Welt“. Lorentzen: „Doch gleich nach der Gründung von Friedrichstadt sitzen Mennoniten mit im Stadtrat.“ Auch am Aufbau Hamburgs nach dem Großen Brand 1842 hätten sich Mennoniten aus Altona beteiligt.

Es gab auch Schattenseiten

Es habe aber auch Konflikte gegeben, räumt der Kirchenhistoriker ein. Als die Katholiken in Altona anfingen, aktiv zu missionieren, seien sie eine Zeit lang ausgeschlossen worden. Begrenzt worden sei die Toleranz in diesen Städten durch eine sehr vage, aber immer vorhandene Aufforderung nach einem friedlichen Zusammenleben. Es habe Grundsätze des Zusammenlebens gegeben, die nicht weiter ausformuliert wurden.

Die historische Untersuchung der Toleranzstädte fördere allerdings auch Schattenseiten zutage. Lorentzen: „Der Nationalsozialismus ist nicht von außen über Schleswig-Holstein gekommen und hat dem Land die schöne Toleranz weggenommen.“ Viele Schleswig-Holsteiner hätten Hitler gewählt, besonders die evangelisch-lutherischen. (epd)