Kirchenbibliothek Altentreptow: Alte Bücher auf Karrierekurs

Jahrhundertelang standen die Bücher der Kirchenbibliothek Altentreptow in der Kirche. Leider zu feucht. Nun sind sie in die Regionalbibliothek Neubrandenburg umgezogen – gereinigt und katalogisiert

Pastor Michael Giebel und Sammlungsleiterin Maxi Grubert mit einem Folianten aus dem Klimaraum der Regionalbibliothek Neubrandenburg
Pastor Michael Giebel und Sammlungsleiterin Maxi Grubert mit einem Folianten aus dem Klimaraum der Regionalbibliothek NeubrandenburgChristine Senkbeil

Der Saal ist lichtdurchflutet, vor den Panoramafenstern liegt der Neubrandenburger Marktplatz. Schöne Aussicht! Doch die Personen, die hier verteilt an den Lesetischen sitzen, blicken selten hinaus – so versunken sind sie in ihre Lektüre. Hinter einem Tresen sitzt ein Bibliothekar, ebenfalls auf sein Tun konzentriert. Ein Vormittag in der Regionalbibliothek der Vier-Tore-Stadt – einer der sechs größten im Land Mecklenburg-Vorpommern. Es herrscht die ungestörte Stille eines Lesesaals. Wie sonst auch.

Dabei ist dieser Tag ein besonderer. Die öffentliche Bibliothek ist um genau 656 Buchtitel reicher geworden. Um einen Schatz, der, wie die Sammlungsleiterin Maxi Grubert sagt, „monetär unfassbar hoch“ wäre: um die Kirchenbibliothek aus Altentreptow nämlich. Die Kirchengemeinde aber ist keineswegs ärmer geworden um diesen Schatz. Denn sie ist weiter die Besitzerin. Nur: die Bestandteile des Schatzes, nämlich die einzelnen Bücher, können ab sofort genau hier, im Lesesaal der Regionalbibliothek, betrachtet, gelesen, studiert, bestaunt werden: an einem ihrem Wert angemessenen Platz. Und zwar auf Bestellung und für alle, die das wünschen.

„Bücher sind jetzt sicher verwahrt“

„Ich bin froh, dass unsere Bücher nun so sicher und fachgerecht verwahrt sind“, sagt Pastor Michael Giebel aus Altentreptow, der mit einigen Menschen aus seiner Gemeinde heute zur offiziellen Übergabe hergekommen ist. Und sowohl die Sammlungsleiterin als auch der Oberbürgermeister der Stadt bekräftigen: „Wir sind froh, diese Möglichkeit bieten zu können!“, sagt Silvio Witt, der auch Vorsitzender des Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern im deutschen Bibliotheksverband ist. „Auch die Attraktivität unseres Bestandes erhöht sich dadurch“, ergänzt Maxi Grubert.

Die kleine Delegation folgt der jungen Frau nun in die unteren Etagen, ins Magazin. Nicht durch geheimnisvolle Katakomben à la „Name der Rose“ geht es, sondern durch helle lange Flure mit feuersicheren Türen. Moderne Funktionalität schlägt Mittelalter-Romantik. Und da stehen sie, die vielen Bücher aus dem 15./16. Jahrhundert, die aus der Kirche und dem Pfarrhaus Altentreptow in diese verschiebbaren Metallregale gezogen sind: 25 laufende Meter nehmen sie ein. Einen Hauch ihres Duftes nach jahrhundertealtem Wissen verströmen sie jedoch, auch hier im Neonlicht. Drei der Perlen hat Maxi Grubert zur Ansicht auf einen Rollwagen gelegt. Auch ihren Liebling, das Kleinste. Das „Güldene Schatz-Kästlein der Kinder Gottes“, ein Erbauungsbuch von 1759. Eigentlich kann man es sogar im Internet durchblättern. Es zählt zu denen, die digitalisiert wurden und weltweit lesbar sind. Aber so in echt.

„Die Bücher sind einfach ohne Endgerät nutzbar“

Faszination. Die Anwesenden dürfen einmal die Regalmeter ablaufen, ihre Finger auf „gestandene“ Buchrücken legen. „Ich wusste gar nicht, was wir alles für Titel im Bestand haben“, sagt Andreas Ziemann, als er versonnen lächelnd vor der Wittenberger Luther-Ausgabe steht. Er ist Vorsitzender des Kirchengemeinderates. „Toll, wenn man das so vor Augen hat.“

Aber: Was nun nach einem perfekten Deal klingt, forderte Opferbereitschaft. So ein Bruch mit Althergebrachtem ist schmerzhaft. „Einige haben gefragt: ‚Wir sollen unseren schönen Schatz weggeben?‘“, beschreibt Ziemann.

Doch die Ergebnisse der Begutachtung des Bestandes durch die Fachleute, damals noch in der Kirche, waren eindeutig: Die Bücher sind höchst gefährdet. „Starke Beschädigung durch Insektenbefall“, bescheinigt die Dokumentation: „Häufig sind Buchdeckel aus Holz fast vollständig zerstört.“ Verfärbungen. Schimmel. Rostflecken.
Nun sind kirchliche Bibliotheken ja eigentlich genau für diesen Zweck gemacht – zur Lagerung wertvoller Bücher. Schlecht behandelt wurden sie auch nicht: „Warum nahmen sie Schaden?“, wird Maxi Grubert gefragt. „Die Bücher stehen dort immerhin seit Jahrhunderten“, erklärt die Sammlungsleiterin.

Bibliothek wird digitalisiert

Aus Materialien bestehend, die der Ewigkeit nicht standhalten. Holz zieht Holzwürmer an. Feuchte Luft Schimmelpilze. „Die Luftfeuchtigkeit ist so hoch, dass auch die zur Buchherstellung verwendeten Klebstoffe geschädigt werden und sich die Verbindung der Einbandmaterialien und die Verklebung der Buchlagen auflösen“, beschreibt sie. „Einige haben wir darum schon im Pfarrhaus untergebracht“, sagt Pastor Giebel. „Aber wir konnten eben keine fachgerechte Lagerung der Bücher gewährleisten.“

Der Kirchengemeinderat (KGR) beschloss an einem Projekt teilzunehmen. Start 2018. Die Kirchenbibliothek St. Marien Neubrandenburg und St. Petri Altentreptow werden in Rostock digital katalogisiert, teils gereinigt, teils digitalisiert – und dann in der Regionalbibliothek untergebracht. Die Neubrandenburger schafften es noch vor Corona. Im Herbst 2023 kamen nun auch die Altentreptower Bücher aus Rostock hierher.

Sinn für Kulturgut verloren gegangen

„Die Luftfeuchtigkeit darf 45 Prozent nicht übersteigen und die Temperatur nicht 23 Grad Celsius“, erklärt Maxi Grubert, und führt in einen weiteren Raum mit dicker Tür: den Klimaraum für „raumgeschütztes Kulturgut“. „Bei Feuer oder Wasser: Dieser Raum wird als erster geräumt“, erklärt sie. Denn hier liegen in säurefreien Kartons die besonders schützenswerten Exemplare: große, sehr alte Folianten.

„Wenn nun alles digitalisiert ist, warum die Bücher noch aufbewahren?“, wurde sie einmal gefragt. Inzwischen weiß Maxi Grubert, was sie hätte sagen können, wäre sie nicht so perplex gewesen. „Das ist unser Backup“, nämlich. Die Blackbox. „Diese Bücher hier sind nämlich auch ohne Endgerät nutzbar.“

„Die Frage zeigt, dass manchen der Sinn für dieses Kulturgut bereits verloren gegangen ist“, sagt Axel Kurt aus dem KGR. „Darum ist es umso wichtiger, an den Wert zu erinnern“, schließt Silvio Witt. Und erste Pläne werden geschmiedet, wie dieses Erinnern praktisch aussehen könnte. „Im nächsten Jahr feiern wir 850 Jahre christliches Leben in Altentreptow. Da könnten doch zwei der Bücher mal vorgestellt werden“, ein Vorschlag. „Unbedingt. Wir bleiben im Gespräch!“

Maxi Grubert bietet vierteljährlich Führungen an. Wer von zu Hause aus im „Güldene Schatz-Kästlein“ blättern möchte, findet es hier.