Historikerin erforscht den Verbleib jüdischer Privatbibliotheken

„Nirgends ist die Freude an eignen Büchereien verbreiteter als unter Juden“, schrieb Karl Wolfskehl in seinem Buch „Die Juden und das Buch“. Welches Schicksal erfuhren ihre Bibliotheken in der NS-Zeit?

„Jüdische Bücher haben nicht bloß ihre Schicksale wie alle Bücher, sondern – ein besonderes jüdisches Bücherschicksal“, schrieb der deutsch-jüdische Philosoph und Historiker Franz Rosenzweig im Jahr 1921. Wie recht er damit haben sollte, zeigt die Historikerin Julia Schneidawind in ihrem Buch über das Schicksal deutsch-jüdischer Privatbibliotheken.

Im Zuge von Raub, Verfolgung und Krieg wurde eine nicht bezifferbare Masse an Büchern und Manuskripten von den Nationalsozialisten unwiederbringlich zerstört, erklärt die Historikerin. Viele Büchersammlungen seien durch Flucht, Emigration und Verkauf zerstreut worden. Teile fänden sich auf der ganzen Welt wieder.

Sie hat für ihre Studie fünf Bibliotheksbesitzer ausgesucht: Franz Rosenzweig (1886-1929), Stefan Zweig (1881-1942), Lion Feuchtwanger (1884-1958), Karl Wolfskehl (1869-1948) und Jakob Wassermann (1873-1934). Sie waren alle sehr erfolgreiche deutschsprachige jüdische Autoren mit einer Hauptschaffenszeit von der Wende zum 20. Jahrhundert bis zum Ende der Weimarer Republik.

Wenngleich es der Historikerin Schneidawind in erster Linie um die Bibliotheken geht, wird doch dabei ein sehr dichtes Panorama des kulturellen deutsch-jüdischen Lebens sichtbar. „Die Bibliotheken waren nicht nur eine Ansammlung von Büchern. Sie waren Familienarchiv über Generationen, auch Archiv über Freundschaften und Netzwerke. Auch waren sie Arbeitsgrundlage für das geistige Schaffen ihrer Besitzer“, so Schneidawind.

Ihre Ehefrauen, Geliebten oder Sekretärinnen, manchmal erst das eine, dann das andere, spielten bei der Rettung der Bibliotheken und der Fluchtgeschichte eine bedeutende Rolle. Schneidawind sieht beispielsweise Edith Rosenzweig, Ehefrau des Religionsphilosophen Franz Rosenzweig, bislang in ihrer Bedeutung noch nicht entsprechend gewürdigt. Anders sieht es im Fall von Marta Feuchtwanger aus. Ihre wichtige Rolle für das Überleben der Bibliothek ihres Mannes im „Weimar am Meer“ im kalifornischen Pacific Palisades ist durchaus bekannt.

Die Bibliotheken der einstmals in Deutschland berühmten und geachteten Schriftsteller nahmen ein ganz unterschiedliches Schicksal. Wolfskehl, Dichter und vor 1933 fester Bestandteil der Münchner Kulturszene, finanzierte seine Flucht nach Neuseeland mit dem Verkauf seiner Bibliothek. Die Bibliothek von Rosenzweig landete nicht in Jerusalem wie geplant, sondern kriegsbedingt in Tunesien, wo sie heute noch in der Nationalbibliothek in Tunis einsehbar ist.

Zweig, österreichischer Erfolgsautor, hat seine Bibliothek sorgsam gepflegt und ausgebaut. Überreste seiner Bibliotheken befinden sich heute in Österreich, Großbritannien, USA und Brasilien entsprechend seiner Fluchtstationen nach 1933. Der Autor hat nach Erkenntnissen der Historikerin Schneidawind schwer darunter gelitten, immer wieder seine Bücher zurückzulassen auf der Suche nach Sicherheit.

Eine kuriose Wendung nahm die Bibliothek von Wassermann. Heute nur noch wenigen ein Begriff, war er einer der meistgelesenen Autoren der Weimarer Republik. Wassermann wollte als deutscher Schriftsteller Anerkennung finden, ohne dass dabei seine jüdische Herkunft eine Rolle spielte oder er diese verleugnen musste, so Schneidawind. Der Besitz von Büchern sei für ihn Ausdruck des Erfolgs als Autor gewesen.

Nachdem Wassermann in der Silvesternacht 1933/34 im österreichischen Altaussee starb, ging die Bibliothek aus ungeklärten Gründen in den Besitz der Familie Frischmuth über, die das angesehene „Hotel am See“ in der Nachbarschaft betrieb.

Die Familie hat nach Schneidawinds Erkenntnissen die Bibliothek des jüdischen Autors um die von ihnen gelesene NS-Literatur erweitert. Nach dem Krieg geriet die Bibliothek in Vergessenheit und wurde dann nach Nürnberg verkauft. Schneidawind bezeichnet sie als „eine der wenigen im Ursprungskontext erhaltenen Bibliotheken eines deutsch-jüdischen Schriftstellers“.