Sarah Vecera: Kirche ohne Rassismus – wie kann das gehen?

In der Zeit der Kolonialisierung ist der Rassismus entstanden. Viele rassistische Denkmuster sitzen bis heute in den Köpfen der Menschen – auch in kirchlichen Kreisen. Wie kann man gegen sie angehen?

Sarah Vecera bei einer Podiumsdiskussion auf dem Kirchentag im Juni 2023 in Nürnberg
Sarah Vecera bei einer Podiumsdiskussion auf dem Kirchentag im Juni 2023 in Nürnbergepd-bild / Friedrich Stark

Unsere wissenschaftliche Theologie, unsere Strukturen und Institutionen, unser Glaube, unser Gerechtigkeitsempfinden und unsere Perspektive auf die Welt und auf uns ist tief geprägt im rassistisch kolonialen Denken. Wir haben es nicht nur institutionalisiert, sondern es ganz persönlich von Kind auf internalisiert. Es ist mit unserem Glauben verwoben und weil es tief in uns verankert ist, braucht es vor allem Zeit.

Dazu müssen wir es wirklich verändern wollen, denn wir können zu solch einer anstrengenden Selbstreflexion niemanden zwingen. Wir müssen verstehen, wie tief es uns persönlich betrifft. Wir sind alle Teil eines rassistischen System und wir dachten lange Zeit, es reicht, nicht rassistisch zu sein, während die Sonne des Rassismus uns alle beschien und prägte, ohne dass wir es merkten.

Koloniales Denken prägt unser Denken bis heute

Die Kirche ist Mitbegründerin des historisch herangewachsenen weltweiten rassistischen Unterdrückungssystems. In der Rassismusforschung sagt man, dass die Hochphase der Entstehung der Erfindung von biologischen Menschenrassen zur Kolonialzeit stattgefunden hat. Zur Zeit der Aufklärung wurde die Selbstbestimmung des Individuums betont, während gleichzeitig Menschen kolonial ausgebeutet wurden und dadurch fremdbestimmt leben mussten.

 

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Der Legitimationstrick lautete: Weiße Menschen sind mehr Mensch als alle anderen. Die Kirche belegte geistlich, dass weiße Menschen die Krone der Schöpfung seien und die Medizin begründete es vermeintlich wissenschaftlich, dass es menschliche Rassen gab. Heute wissen wir zwar, dass es keine biologischen Menschenrassen gibt, aber koloniales Denken durchzieht uns auf sämtlichen Ebenen.

In seinem Buch „Wozu Rassismus?“ schreibt Aladin El-Mafaalani dazu: „Die Selbstverständlichkeiten der Gesellschaft sind rassistisch geprägt, denn fast alles, was die moderne Weltgesellschaft ausmacht, entstand in der Hochphase des Rassismus: Aufklärung, Wissenschaft, Globalisierung, Kapitalismus, Nationalstaaten und ihre Staatsbürgerschaften.“

Rassismus ist kein abstraktes System

Es braucht vor allem Seelsorge und qualifizierte Antirassismus- und Empowermenttrainings, um weiße Menschen wie Menschen of Color darin zu begleiten, all das zu erkennen und  von all dem zu heilen.  Wir sind nicht direkt verantwortlich für diese Strukturen, aber wir sind verantwortlich sie zu reflektieren und infolgedessen zu handeln.

Rassismus ist kein abstraktes System, sondern macht sich bemerkbar im alltäglichen Leben vieler Menschen in unserer Migrationsgesellschaft, in der wir als Kirche mehr und mehr Menschen verlieren. Das eine hängt mit dem anderen zusammen. Es liegt an uns, ob wir darauf mit Abwehr oder Selbstreflektion reagieren.

Sarah Vecera ist Theologin, Autorin und stellvertretende Leiterin der Abteilung Deutschland der Vereinten Evangelischen Mission (VEM). Der Artikel ist erschienen in „Eins*“, der Sonderbeilage von „Unsere Kirche“.