„Die Perspektiven Schwarzer Menschen fehlen in der Kirche“

Maike Schöfer hat die internationale Bildungsreferentin Sarah Vecera interviewt.

Vikarin Maike Schöfer setzt sich damit auseinander, wie Kirche mit Rassismus umgeht, was Institutionen und Mitglieder noch lernen können und worüber gesprochen werden sollte. Im zweiten Teil der dreiteiligen Serie hat Maike Schöfer die internationale Bildungsreferentin Sarah Vecera interviewt.      

Frau Vecera, gibt es Rassismus in der Kirche?

Ja, und das Gefährliche an Rassismus in der Kirche ist, dass er nicht so offensichtlich ist. Nach dem Tod von George Floyd haben wir nochmal neu gelernt, dass Kirche zwar immer Statements schreibt und Anteilnahme zeigt. Das ist gut, aber impliziert auch immer, dass Rassismus nichts mit uns zu tun hat, weil er immer offensichtlich und beabsichtigt ist. Und das gäbe es ja bei uns nicht. Wir sind die Guten und distanzieren uns davon. Aber Rassismus hat viele Gesichter, auch versteckten und unbeabsichtigten Rassismus. Und Rassismus gibt es auch in der Kirche. Der Fakt, dass unsere Kirche sehr weiß ist, ist nicht rassistisch an sich, aber es fehlen die Perspektiven Schwarzer Menschen. Und man muss fragen, warum das so ist. 

Warum ist unsere Kirche so weiß in Deutschland?

Das hat eine lange Geschichte – Heute gibt es fast ausschließlich nur weiße Perspektiven – in allen Bereichen: im Theologiestudium, in Kinderbibeln, in den Gottesdiensten. Unsere Kirche ist nicht nur weiß, sondern auch gutbürgerlich, das schließt wiederum viele Menschen aus. Genauso auch unsere Sprache. Zudem kommt, dass sich viele Schwarze Menschen in einer mehrheitlich weißen Gemeinde auch nicht wohl fühlen. Dabei kann man ja in einigen Städten nicht mehr von einer weißen Mehrheitsgesellschaft sprechen. Und trotzdem bleiben die Gemeinden weiß. Daran sieht man, dass sich Kirche von der Gesellschaft entfernt hat und dass sie Menschengruppen ausschließt.

Wenn Rassismus nicht thematisiert wird, ist das rassistisch?

Ja, weil man von sich selbst weiß, dass man Teil eines rassistischen Systems ist. Dieses rassistische System, dass sich in Gesellschaft, Wirtschaft, Bildung und auch Kirche zeigt, ist über 400 Jahre gewachsen. Es wurden kategorisch Schwarze Menschen ausgeschlossen, ausgebeutet und länderübergreifende Machtverhältnisse geschaffen, die am Ende die Weltwirtschaft zusammenhalten. Wenn man nun anfängt, sich mit Rassismus zu befassen, sieht man plötzlich, welche Bereiche alle davon durchdrungen sind. 

Fällt Ihnen da ein konkretes Beispiel ein?

Mir begegnet Rassismus zum Beispiel auch auf GEPA-Produkten. Das Unternehmen meint es ja wirklich gut. Aber den Konsument*innen wird wieder gezeigt, dass Schwarze Menschen die sind, denen man helfen muss. Der*die Pfarrer*in auf der Kanzel ist aber nicht Schwarz. Die sind weiß. Schwarze Menschen sind die, die anders sind, die hilfsbedürftig sind. Solche Stereotypen werden unter anderem durch GEPA reproduziert und aufrecht erhalten. Das spaltete aber leider eher unsere Gesellschaft. Ich bin als Schwarzes Kind in einer weißen Gemeinde aufgewachsen. Ich konnte mich nicht mit den Figuren aus der Kinderbibel identifizieren. Aber die Menschen auf den GEPA-Produkten, die sahen so aus wie ich. Das nicht zu thematisieren, ist fatal – das nicht zu thematisieren, heißt, rassistische Strukturen aufrechtzuerhalten.

Warum befasst sich Kirche so wenig mit Rassismus?

Anzuerkennen, dass es Rassismus gibt, ist erst einmal sehr schwer. Vor allem weil es ja auch immer Menschen gibt, gerade auch in unserer Kirche, die sich zum Beispiel für Geflüchtete engagieren. Doch bei all dem Engagement, gibt es auch immer ein Machtgefälle. Den Menschen, die sich engagieren, dann zu sagen, jetzt reden wir aber auch noch mal über das Machtgefälle, ist schwierig. Denn diese Menschen tun ja etwas aus ihrem Glauben heraus, aus Überzeugung, sie meinen es gut. Das ist eine Hemmschwelle, für beide Seiten, sich mit Rassismus zu befassen. Eine andere Hemmschwelle ist, dass Rassismus gesamtgesellschaftlich ein Problem ist. Rassismus wird meist als Extremismus, als bewusste und gezielte Tat verstanden. Dabei gibt es viele Formen von Rassismus. 

Was kann ich jetzt als einzelne Person in der Gemeinde, im kirchlichen Umfeld aktiv gegen Rassismus tun?

Erst einmal beobachten und wahrnehmen: Wie weiß ist meine Gemeinde, mein Umfeld? Kenne ich Schwarze und nicht-weiße Menschen? Und wenn ja, wie nehme ich sie wahr? Was macht das mit meinem Denken? Kenne ich die Perspektiven nicht-weißer und Schwarzer Menschen? Habe ich mich schon einmal mit Rassismus befasst? Oder musste ich das noch nie, weil ich durch mein Weißsein dieses Privileg habe? Schwarze Menschen haben dieses Privileg nicht, sie müssen sich tagtäglich damit befassen. Und weitere Schritte wären: zuhören, Fragen stellen, Bücher lesen, zum Beispiel von Tupoka Ogette „Exit Racism“. Und dann zu schauen, was könnte mein Beitrag zu Antirassismus sein?

Sie sind auch auf Instagram als @moyo.me aktiv. Als erste Schwarze Frau aus kirchlichen Kreisen haben sie dort über Rassismus gesprochen. Und auf den Tisch gehauen. Warum?

Weil ich zu lange geschwiegen habe. Gerade auch in der Kirche. Das tat weh. Ich erlebe das immer noch als Tabu-Thema. Ich musste selbst erst sprachfähig werden, um mit anderen darüber zu reden. Und musste lernen, wie ich Rassismus anspreche ohne Menschen zu vergraulen. Ich will mit Menschen einen gemeinsamen Weg finden und niemanden beschuldigen oder beleidigen. Mein Anliegen ist nämlich, dass wir Kirche verändern – zusammenrücken, nicht spalten. Schwarze und nicht-weiße Menschen, die nach mir kommen, sollen sich in Kirche wohl und dazugehörig fühlen. Sie sollen nicht die schmerzhaften Erfahrungen machen, die ich machen musste.

Warum wählen Sie dafür Social Media, speziell Instagram?

In der digitalen Kirche gibt es auch immer noch Menschen, junge innovative Menschen, zukünftige Pfarrer*innen, die sich noch nicht mit Rassismus befasst haben. Ich denke, es ist gut, diese Menschen dafür zu sensibilisieren. Aber ich wähle nicht nur Instagram. Antirassismus-Arbeit ist allgegenwärtiger Teil meines Berufes und meines Lebens. Ich bin zudem in einer internationalen Gemeinde, auch da ist das immer Thema. 

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Ich wünsche mir für die Kirche, dass sie mutig ist, Privilegien zu teilen. Schwarze und nicht-weiße Menschen sollen nicht als Leck im Boot gesehen werden, sondern die Türen sollen aufgemacht werden und es soll heißen: Jetzt kommt ihr mit ans Steuer! Schwarze Menschen und PoC (People of Colour) sollen auf Augenhöhe gesehen werden, mit in Leitungsgremien sitzen, Verantwortung übernehmen dürfen. Macht soll geteilt und unsere Perspektiven gehört und miteinbezogen werden. Das ist bestimmt anstrengend und eine Herausforderung. Denn das würde eine Systemumstellung bedeuten. Ganz konkret: So wie auf Repräsentanz von Jugendlichen und Frauen in Leitungsgremien geachtet wird, muss das auch für Schwarze und nicht-weiße Menschen geschehen. Ich glaube, das ist momentan der einzige Weg, wie eine Teilhabe an Macht und Verantwortung aussehen kann. Und ich wünsche mir, dass wir wirklich eine Kirche werden, die alle Menschen willkommen heißt.