Kirche im „post-konfessionellen Zeitalter“

In Ulm, wo gerade das evangelische Kirchenparlament tagt, erzählt man sich die Legende vom Ulmer Spatzen. Beim Bau des Münsters brauchte man die größten Holzbalken für das Gerüst des bis heute weltweit höchsten Kirchturms. Doch quer auf dem Wagen gestapelt passten sie nicht durchs Stadttor. Da beobachteten die Arbeiter einen Spatzen, der mit seinem Schnabel einen langen Halm längs durch die kleine Öffnung in seine Nisthöhle zog. Und so wurden die Holzbalken der Länge nach durch das Stadttor auf die Baustelle gebracht.

Wie mit den Holzbalken verhalte es sich auch mit der biblischen Botschaft, die nur schwer durch das Tor der Gesellschaft passt, sagte der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) in seiner Begrüßung zu den Delegierten der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Die Frage, wie man die biblische Botschaft zeitgemäß transportiert, wird dringender, denn die Religiosität der Menschen nimmt ab. Das zeigt die sechste Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung, die am Dienstag bei der EKD-Synode im Ulm vorgestellt wurde.

Laut der repräsentativen religionssoziologischen Studie befindet sich die Gesellschaft gerade an einem „Kipppunkt“: Noch sind etwas mehr als die Hälfte der Deutschen konfessionell gebunden, das heißt Mitglied einer christlichen Glaubensgemeinschaft. Doch dieser Wert soll schon im kommenden Jahr unter 50 Prozent sinken.

Religiöse Menschen sind schon heute in der Minderheit, da sich auch ein Drittel der befragten Kirchenmitglieder als nicht religiös bezeichnet. Der Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats der Studie, Kirchenpräsident Volker Jung, spricht vom „post-konfessionellen Zeitalter“. Die Studie klärt zudem den weitverbreiteten Irrtum auf, dass sich religiöse Praxis außerhalb der Kirchen individualisiert. Kurzum: Wer konfessionslos ist, war es entweder schon immer oder bleibt es auch.

Von diesen Befunden zeigt sich die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus ernüchtert. Sie erteilte aber am Dienstag dem Versuch eine Absage, gezielt Mitglieder anzuwerben: „Diesen Kampf sollten wir gar nicht führen.“ Doch die Studie enthalte auch Ermutigendes, wie sie sagt: Nicht nur Kirchenmitglieder, sondern auch Konfessionslose haben Erwartungen an das politisch-soziale Engagement der Kirche. So erwartet eine Mehrheit der befragten Konfessionslosen, dass die Kirchen sich für die Rechte von Geflüchteten einsetzen oder Menschen in schwierigen Lebenssituationen beraten

Hierbei zeigt sich jedoch ein Dilemma: Die Studienautoren sehen eine Halbierung der Kirchenmitgliederzahlen bereits in den 2040er Jahren voraus, also 15 bis 20 Jahre früher als vor vier Jahren in einer Kirchensteuerprognose errechnet. Das wird auf Dauer auch die kirchlichen Haushalte belasten. Denn weniger Kirchenmitglieder bedeuten auf lange Sicht weniger Kirchensteuereinnahmen. Dann stünde den Kirchen aber auch weniger Geld für ihre diakonischen Aufgaben zur Verfügung.

Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Jung betont, auch als kleinere Kirche könne man wirkungsvoll sein. Er warnt jedoch davor, als Kirche zu einem reinen Sozialbetrieb zu werden, wenngleich es natürlich lohne, mit den Studienergebnissen die Prioritäten in den Landeskirchen und Gemeinden noch einmal zu überprüfen.

So gibt die Studie auch Hinweise, worauf die Kirchen besondere Anstrengungen verwenden sollten: Religiöse Sozialisation findet nicht mehr im Elternhaus, sondern häufiger im Konfirmandenunterricht statt, lautet ein weiterer Befund.

Mit kirchlicher Jugendarbeit könne man „ein tiefes Fundament“ legen, sagt SPD-Politikerin und EKD-Ratsmitglied Kerstin Griese im Synoden-Plenum. Durch eine gelungene Jugendarbeit könne die Kirche eine Heimat bieten – durch Worte, durch Lieder und durch gemeinsame Orte.