Kirche geht ins Gefängnis

Eine Delegation um den Regionalbischof Rathing hat „Orte des Friedens“ besucht, unter anderem ein Gefängnis. Die Gefangenen hatten viel zu erzählen.

Mitglieder der Kirchendelegation im Kirchraum der JVA Uelzen
Mitglieder der Kirchendelegation im Kirchraum der JVA UelzenHartmut Merten

Uelzen/Lüneburg. Wolf-Dieter Ehlers öffnet dem Lüneburger Regionalbischof Dieter Rathing bereitwillig die schwere Eisentür zu seiner Zelle in der Justizvollzugsanstalt Uelzen. Viel Platz ist hier nicht – ein Bett und ein Sideboard, auf dem der Fernseher läuft. Die Wände hat Ehlers mit bunten Motivtüchern geschmückt, auf dem Stoff über dem Bett räkelt sich eine Frau. Auch zwischen die Gardinen des Fensters hat er ein Tuch drapiert. "Weil man irgendwann die Gitterstäbe nicht mehr sehen mag", sagt der Mann, der schon lange in Haft ist.
Landessuperintendent Rathing hat unter dem Motto "Orte des Friedens" verschiedene Einrichtungen in seinem Kirchensprengels besucht. Wie in Ehlers‘ Zelle drängt sich das Thema seiner Rundreise dabei nicht immer auf den ersten Blick auf. "Ich sehe da schon einen Spannungsbogen", sagt JVA-Leiterin Sabine Hamann. "Es gibt viel Unfrieden hier, und es gibt auch Orte des Friedens."
Hamann berichtet von einem Ereignis, das bis heute nachwirkt. 1999 ermordete ein Inhaftierter den stellvertretenden Leiter des Gefängnisses mit einem Messer. Er verletzte drei weitere Mitarbeiter schwer, von denen einer später starb, und erstach sich dann selbst. "Das ist ein Trauma der Anstalt bis heute", sagt Hamann, die selbst erst später in Uelzen Leiterin wurde. Ein Denkmal im Eingangsbereich erinnert an den Vorfall. "Es ist ein Versuch, Frieden zu schließen mit dem Ereignis", meint sie.

Gottesdienst auch mit Muslim

Auch Rathing treibt die Frage um, wie Opfer und Täter Frieden finden können. Im Kapellenraum der JVA berichten Wolf-Dieter Ehlers und andere Gefangene davon, wie sie versuchen, mit sich selbst, ihren Taten und anderen Menschen ins Reine zu kommen. Ehlers hat wie einige seiner Mithäftlinge die Meditationsmethode Naikan ausprobiert. Sieben Tage lang durfte er nicht fernsehen, kein Radio hören, nicht reden. Stattdessen musste er über drei Fragen nachdenken und die Ergebnisse aufschreiben. "Diese Zeit war echt hart für mich", sagt er. "Da sollte man sich plötzlich mit seiner Vergangenheit befassen. Da sind Sachen, die wollte man gar nicht wissen." Am Ende füllte er 60 Seiten.
Ein gebürtiger Marokkaner sagt, obwohl er Muslim ist, tragen für ihn auch die wöchentlichen Gottesdienste mit der katholischen Gefängnisseelsorgerin Martina Förster dazu bei, inneren Frieden zu finden. "Wenn man an Gott glaubt, hat man immer eine Hoffnung." Sein 33-Jähriger Mithäftling hat in der Band des Gefängnisses sein Talent als Sänger entdeckt. Dass er und seine Musiker regelmäßig üben können, erfordere auch von den JVA-Mitarbeitern viel Vertrauen, sagt er. Was im Probenraum geschieht, lässt sich nur schwer umfassend kontrollieren.

Die Zelle – ein Ort des Friedens

"Wir leben hier in einem sehr statischem System mit klaren Regelungen", erläutert die Leiterin der Sozialtherapeutischen Abteilung der Anstalt, Susanne Jacob. "Da ist es wichtig, dass Menschen dennoch sagen, wir gucken mal, was geht." Jacob lässt für den Regionalbischof auch den "besonders gesicherten Haftraum" öffnen, in dem ein Gefangener vorübergehend untergebracht wird, wenn er für sich selbst und andere zur Gefahr wird. Der Raum ist videoüberwacht. Es gibt eine Matratze und eine in den Boden gelassene Latrine – sonst nichts. "Wer hier reinkommt, ist extrem mit sich im Unfrieden", sagt die Psychologin.
Für Wolf-Dieter Ehlers ist das Gefängnis nach langer Zeit auch ein vertrauter Ort geworden. "Hier lebe ich mit schlimmsten Ganoven unter einem Dach und habe trotzdem nicht so viel Angst wie draußen auf der Straße", sagt er. Seine Zelle sei in gewisser Weise ein Ort des Friedens. Vor allem dann, wenn er selbst und die sieben Nachbarn in seinem Trakt zur Nacht eingeschlossen werden. "Dann ist es ruhig." (epd)