Kind des Ruhrgebiets: Früherer westfälischer Präses Linnemann tot

Als fünfter Präses der westfälischen Kirche nach 1945 engagierte er sich schon früh gegen Kinderarmut und Arbeitslosigkeit. Nun ist Hans-Martin Linnemann gestorben.

Der westfälische Altpräses Hans-Martin Linnemann, hier im JUni 2007, ist gestorben
Der westfälische Altpräses Hans-Martin Linnemann, hier im JUni 2007, ist gestorbenepd-bild / Werner Krüger

Soziale Gerechtigkeit und die biblische Botschaft gehörten für ihn zusammen: Mit Armut und Massenarbeitslosigkeit dürfe sich keine Gesellschaft abfinden, war die Überzeugung von Hans-Martin Linnemann, der als Präses von 1985 bis 1996 an der Spitze der Evangelischen Kirche von Westfalen stand. Seinen Dienst habe er immer als Pastor, nicht als Funktionär verstanden, erklärte die westfälische Kirche zum Tod ihres ehemaligen obersten Repräsentanten: „Sein Ort war nah bei den Menschen.“

Als leitender Geistlicher setzte sich Linnemann besonders für die Versöhnung mit den Menschen und Kirchen im Osten Europas ein. Der als versierter Theologe und Vermittler geschätzte Protestant starb am 2. Januar im Alter von 93 Jahren. Er war 63 Jahre mit seiner Frau Magdalena verheiratet, die im Jahr 2021 starb. Die Eheleute wurden Eltern von fünf Kindern.

Ulf Schlüter: „Klare, nüchterne, freundliche Art“

Mit den „Gaben Gottes und des Ruhrgebiets“ habe er seiner Kirche gedient, erklärte der Theologische Vizepräsident der westfälischen Kirche, Ulf Schlüter. Der amtierende Präses-Vertreter hob Linnemanns „klare, nüchterne, freundliche Art“ sowie „seine Bescheidenheit“ hervor.

Linnemann sei nicht als ein Mann „großer Worte“ aufgefallen, hatte die damalige Präses Annette Kurschus zu Linnemanns 90. Geburtstag erklärt. Stattdessen habe er Gottes Wort groß gemacht. Die Attitüde eines „Kirchenfürsten“ sei Linnemann zeitlebens fremd gewesen. Der frühere Präses Alfred Buß bezeichnete ihn einmal als „Präses mit ökumenischem Profil“.

Nicht der Sozialstaat sei zu teuer, sondern die Arbeitslosigkeit

Seiner Heimat blieb Linnemann stets verbunden. „Ich bin ein Kind des Ruhrgebietes“, sagte der Theologe bei seiner Vorstellung vor der westfälischen Landessynode, die ihn im November 1984 zum leitenden Geistlicher der viertgrößten deutschen Landeskirche mit heute rund zwei Millionen Mitgliedern wählte. Dem gebürtigen Wittener blieben die Menschen nahe, die unter Strukturwandel und Beschäftigungslosigkeit litten.

Die Massenarbeitslosigkeit im Revier und in anderen Regionen Westfalens war nach Linnemanns Überzeugung kein Schicksal, mit dem sich eine Gesellschaft abfinden darf. Nicht der Sozialstaat sei zu teuer, sondern die Arbeitslosigkeit, erklärte er 1995. Das Ziel der Vollbeschäftigung dürfe nicht aufgegeben werden.

Mehr Unterstützung für arme Familien

Schon damals forderte Linnemann mehr Unterstützung für arme Familien angesichts einer wachsenden Zahl von Kindern, die Sozialhilfe erhielten. Dabei redete er nicht nur von Menschenrechten der Arbeitslosen und Asylbewerber, er besuchte sie auch demonstrativ.

Auch die Versöhnung mit den Völkern und Kirchen im Osten Europas war Linnemann ein besonderes Anliegen. Als Vorsitzender des damaligen Rates der Evangelischen Kirche der Union (EKU) warb er zudem für gute Beziehungen zwischen den evangelischen Kirchen in beiden deutschen Staaten.

Weggefährten beschrieben Linnemann als einen Mann des Ausgleichs. In seiner Amtszeit als Präses galt der Theologe als jemand, der zuhören kann und dem es darum geht, gemeinsam Lösungen zu finden.

Universität Münster verlieh ihm 1988 den theologischen Ehrendoktor

Als 2007 nach mehreren Monaten eine spektakuläre Kirchenbesetzung in Bielefeld endete, war das auf die Vermittlung des Ruheständlers Linnemann zurückzuführen. Gemeindemitglieder hatten die Bielefelder Paul-Gerhardt-Kirche aus Protest gegen deren Verkauf mehrere Monate besetzt. In dem Konflikt verstand es der damals 76-jährige Theologe, so zu vermitteln, dass keine der Streitparteien ihr Gesicht verlor.

Der aus Witten-Bommern stammende Linnemann war der fünfte Präses der westfälischen Landeskirche nach 1945. Nach seinem Theologiestudium und der praktischen Ausbildung als Studentenpfarrer in Münster arbeitete er als Gemeindepfarrer in Dortmund. Später wurde er Superintendent in Lünen und Vorstandsvorsitzender der Vereinigten Kirchenkreise Dortmund und Lünen.

Von 1989 bis 1997 gehörte Linnemann dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) an. Im Jahr 1993 wählte ihn die Konferenz Europäischer Kirchen in ihr Präsidium. Die Universität Münster verlieh ihm 1988 den theologischen Ehrendoktor. Linnemann predigte und lebte eine Kirche, die den Kontakt zu den Menschen sucht. Glaube müsse verstehbar und buchstabierbar sein, war seine Überzeugung.