“Keine Patente auf Saatgut” wirft Firmen Scheinerfindungen vor

Mehr als 1.000 Pflanzensorten in Europa sind von Patenten betroffen, obwohl sie konventionell gezüchtet sind. Eine Initiative schlägt Alarm und warnt vor Abhängigkeiten.

Nach Recherchen der Initiative “Keine Patente auf Saatgut!” missbrauchen Firmen die Verfahren der Neuen Gentechnik (NGT). Sie nutzten diese, um den Patentschutz auf konventionell gezüchtete Pflanzen auszuweiten, heißt es in einer am Donnerstag in München veröffentlichten Erklärung. Demzufolge werden in vielen Fällen Genvarianten und Merkmale, die in bereits existierenden Pflanzen vorkommen, mit NGT “neu erfunden”, um den Eindruck einer technisch neuen Sache zu erwecken.

Betroffene Pflanzenarten seien Tomaten, Karotten, Gurken, Salat, Brokkoli, Paprika, Spinat, Mais, Weizen, Gerste und Soja, heißt es. In vielen der Patentanträge würden auch aus diesen Pflanzen gewonnene Lebensmittel beansprucht. Die Patente auf diese “Erfindungen” beanspruchten nicht nur NGT-Pflanzen, sondern auch solche aus zufälliger Genveränderung. Zuvor seien Pflanzen mit zufälligen Mutationen ohne Patentansprüche auf den Markt gebracht worden und hätten von Züchtern frei verwendet werden können.

Patente auf Pflanzensorten und auf die Pflanzenzucht sind in Europa verboten; die einzige Ausnahme betrifft gentechnische Verfahren, wie die Initiative erklärte. Allerdings gebe es zwischen den Patenten auf Gentechnik und Pflanzen aus den zufälligen Prozessen der üblichen Züchtung erhebliche Überlappungen. Der Sprecher von “Keine Patente auf Saatgut!”, Christoph Then, forderte daher die EU auf, die Auslegung der Patentgesetze entsprechend zu korrigieren.

Um die Pflanzen zu “erfinden”, würden genetische Merkmale, die in bestehenden Pflanzenpopulationen entdeckt würden, mit Werkzeugen wie der Gen-Schere CRISPR/Cas nachgeahmt. Zudem werde Zufallsmutagenese eingesetzt, um gleiche oder ähnliche Genvarianten zu erzeugen. Aus Sicht der Züchter seien diese Verfahren aber meist gar nicht notwendig, um die erwünschten Eigenschaften zu erhalten. Für die Firmen, die solche Patente anmeldeten, erwiesen sich diese Verfahren aber als sinnvoll, weil sie die Pflanzen als ihre “Scheinerfindung” beanspruchten.

Mit solchen Patentanträgen versuchten einige Firmen, offensichtlich konventionelle Züchter in neue Abhängigkeiten zu bringen oder aus dem Markt zu drängen, heißt es von den Kritikern. Würden sie erteilt, könnten Patentinhaber den Zugang zu den Pflanzen kontrollieren – mit und ohne Gentechnik. Die Recherchen der Initiative seien der EU-Kommission zur Kenntnis gebracht worden. Diese bereite derzeit einen Bericht über Patente auf NGT-Pflanzen vor.

Unter dem Sammelbegriff “Neue Gentechnik” oder auch Genom-Editierung werden verschiedene molekularbiologische Verfahren zusammengefasst. Allen Technologien ist gemein, dass mit ihnen die DNA gezielt bearbeitet werden kann. Gene werden auf diese Weise an- oder ausgeschaltet, eingefügt oder entfernt. Im Gegensatz zu den neuen Gentechniken wird bei den Verfahren der “alten” Gentechnik das fremde Erbgut zum Beispiel mittels Bakterien oder sogenannten Genkanonen in die Zelle eingeschleust. An welcher Stelle das neue Erbgut in der Zell-DNA eingebaut wird, ist jedoch zufällig. Das führt zu erheblichem Mehraufwand, um die gewünschte Erbgutveränderung herauszufiltern.