Karneval zum Anfassen bei der Kölner Blindensitzung

Karneval, Fasching und Fastnacht ist mehr als Besäufnis, Lärm und dreckige Straßen. Das Brauchtum ist vielseitig und will jede Zielgruppe ansprechen. Ein Beispiel dafür: Die seit 1949 stattfindende Kölner Blindensitzung.

 Mitsingen, Schunkeln und Klatschen – in vielem unterscheidet sich die Karnevalssitzung in den Kölner Sartory-Sälen nicht von anderen jecken Veranstaltungen. Trotzdem ist sie einzigartig: Hier gibt es die närrischen Majestäten von Köln, das Dreigestirn, zum Anfassen. Denn viele der rund 250 voll verkleideten Jecken im Saal sehen nicht gut. Zusammengeklappte weiße Stöcke liegen neben einigen Tischen des geschmückten Saals.

Mit Gesangseinlagen Kölner Traditionsmusik ebenso wie Tanzgruppen, Rednern und einer erst achtjährigen Sängerin im Programm lädt die Künstlervereinigung „Muuzemändelcher“ bereits zum 69. Mal zur Kölner Blindensitzung. In langer Tradition organisiert sie Karnevalsveranstaltungen für soziale Zwecke. Die Sitzung kostet keinen Eintritt, alle Künstlerinnen und Künstler verzichten laut „Muuzemändelcher“ auf Honorare.

So beispielsweise das Redner-Duo „Der Bauer und der Wiener“. Deren Witze über die rivalisierende Stadt am Rhein, Düsseldorf, zünden genauso wie Klamauk über Mann und Frau. Werfen die beiden auch nur drei Wörter eines bekannten Kölner Karnevalslieds in die Menge, kommt das Echo aus dem Saal zurück. Typisch Köln.

Tanzgruppen bietet die Blindensitzung weniger als andere Karnevalsveranstaltungen. Nach der Auftritt der „Pänz us dem ahle Kölle“ (Kinder aus dem alten Köln) werden deren Kostüme detailliert beschrieben: Weiße Blusen und Schürzen, Knickerbocker, geflochtene Zöpfe mit rot-grünen Bändern – die Tanzgruppe lässt das alte Köln um 1900 wieder aufleben.

Eine Dame mit Federboa und rotem Hut ist extra für die Sitzung aus dem Lipperland angereist. „Meine Tochter lebt seit 30 Jahren in Köln und hat von der Blindensitzung gehört“, sagt sie. Zwei Gläser mit Kölsch stehen vor den beiden. „Die Musik gefällt mir gut, die Stimmung ist gut“. Die als Clown verkleidete Tochter ergänzt, dass sie sich gar nicht vorstellen konnten, dass das Dreigestirn tatsächlich kommen würde. Es kam – sogar doppelt.

Bauer, Jungfrau und Prinz kamen mit dem Kinderdreigestirn, alle sechs mischten sich in die Menge. Eine Dame mit roten Blazer erfühlt das Kettenhemd des Bauern, ein Mann fährt die langen Fasanenfedern am Hut des Prinzen entlang. Eine Frau in buntem Kleid streicht über das Kleid der Kinder-Jungfrau. Das Mädchen hebt einen Fuß und präsentiert ihren altmodischen Schnallenschuh. „Da sind mir meine Schuhe lieber“, sagt die Frau schmunzelnd.

„Zu den Jecken in den Saal zu gehen, ist auch für uns was ganz Besonderes“, sagt die diesjährige Kölner Jungfrau Friedrich Klupsch. „Es sollen ja alle am Karneval teilhaben“. Prinz Sascha Klupsch – wohl einzig im Kölner Karneval möglich: Sohn der Jungfrau – ist berührt nach dem Auftritt: „Wenn wir abends in große Säle kommen, ist Party. Das ist hier etwas anders, aber es herrscht richtig Vorfreude aufs Dreigestirn. Wir können mit so einer Kleinigkeit, nur mit unserer Anwesenheit, so viel Freude machen.“ Es sei schön, beim Erfühlen die Farben des rot-weißen Kostüms zu erklären und ins Gespräch über die Traditionen zu kommen.

„Das Berühren des Dreigestirns ist wichtig, anders sehen können wir nicht“, erklärt eine Sechsergruppe, die vom Niederrhein schon seit einigen Jahren zur Sitzung nach Köln kommt. „Ich mag den Sitzungskarneval gerne“, sagt eine als Frosch kostümierte Dame. Im Straßenkarneval habe sie eine schlechte Erfahrung gemacht, der sei nicht tauglich für Sehbehinderte.

Herbert Klerx ist Erster Vorsitzender des Blinden- und Sehbehinderten-Vereins Köln. Die Kölner Gruppe lädt zur Sitzung alljährlich Ortsvereine aus der ganzen Umgebung ein. Klerx trägt ein buntes Jackett. Er bedankt sich auf der Bühne bei denen, die die blinden Karnevalisten zu der Sitzung begleitet haben. Er selbst besuche auch Karnevalsumzüge. Für den Straßenkarneval brauche man eine sehr gute und flexible Begleitperson, erklärt er.

Ein Herr im Hemd ist ebenfalls zum wiederholten Mal bei der Sitzung. Wie es ihm gefällt? „Erfrischend, schönes Programm“, sagt er. Dass er den Karneval nicht mit den Augen sieht, stört ihn aber nicht. „Ich stelle mir das ja selbst vor“.