Kann man ohne den Himmel leben?

Solange die Welt sich dreht, werden Geschichten vom Himmel erzählt

Von Christian Feldmann

Vor siebzig Jahren lebte in Warschau die kleine Janina David in einem engen dunklen Zimmer, das sie niemals verlassen durfte. Denn die jüdische Familie David musste sich vor den Nazis verstecken. In dem Buch, das sie später über ihre Erlebnisse schrieb, erinnert sich Janina David an ein winziges Fenster, durch das sie ein Stück vom blauen Himmel sehen konnte. Dieser Blick auf den Himmel war es, was ihr Mut gab und sie die lange böse Zeit am Leben hielt.

Der Himmel – ein Bild für Freiheit, Hoffnung, Zukunft, für die „Fülle des Lebens“, wie es in alten gottesdienstlichen Texten heißt. Kann man ohne den Himmel überhaupt leben?

Ein großes Fest – und es hat längst begonnen

Weil aus der anderen Welt noch keiner zurückgekommen ist, gibt es unter den Menschen keine einheitliche Vorstellung. Sie sagen „Himmel“ oder „Paradies“, „Jenseits“ oder „die ewigen Jagdgründe“ – und meinen doch alle etwas Ähnliches. Die Bibel schildert den Himmel keineswegs als langweiliges Paradies mit luftigen Geistern, die vornehm umherschweben und auf weichen Wolkenpolstern rasten. Sie erzählt lieber von einem großen Fest, einer Hochzeitsfeier, wo fröhlich gegessen und getrunken wird, wo sich alle rundum freuen. Und das Schönste: Dieses Fest hat längst begonnen! 

„Der Herr der Heerscharen wird für alle Völker ein Festmahl geben mit den feinsten Speisen, ein Gelage mit erlesenen Weinen. Er hat den Tod für immer verschlungen, und Gott, der Herr, wird die Tränen von jedem Gesicht abwischen“ (Jesaja 25, 6-8).

Kein Ort, eine Beziehung

Jesus verknüpft das mit seiner Person: „Wo zwei oder drei in meinem Namen zusammen sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ Das heißt, sein Himmel beginnt überall dort, wo Menschen wie er ganz Menschen sind, sich aneinander freuen, richtige Freunde werden, miteinander teilen und sich als Partner fühlen, nicht als Rivalen. Schon in der hebräischen Bibel bricht der Glaube Israels die enge Vorstellung eines über den Wolken lokalisierbaren Himmels auf: Der Himmel ist kein Ort auf der Landkarte des Universums, sondern eine Beziehung. Der Himmel ist die Erfahrung der glücklich machenden – aber auch herausfordernden – Nähe Gottes.

Dann leuchten schon jetzt viele kleine Stückchen Himmel wie Mosaiksteine auf, noch unverbunden nebeneinander liegend wie bei einem unfertigen Puzzle. Die Bibel ist überzeugt: Gott wird am Ende der Tage diese vielen Mosaiksteinchen Himmel zu einem vollendeten Bild zusammenfügen und zu seiner neuen Erde und seinem neuen Himmel machen, wie es am Schluss der Bibel heißt. Vielleicht lohnt es sich ja, bei dem Fest schon jetzt dabei zu sein.

„Dann führte er sie hinaus in die Nähe von Betanien. Dort erhob er seine Hände und segnete sie. Und es geschah, während er sie segnete, verließ er sie und wurde zum Himmel emporgehoben. Sie aber fielen vor ihm nieder. Dann kehrten sie in großer Freude nach Jerusalem zurück.“ (Lukas 24,50–52)                               Vierzig Tage nach Ostern feiern die Christen das Fest „Christi Himmelfahrt“: Der Auferstandene hat sich seinen Freunden immer wieder gezeigt, hat mit ihnen gegessen und getrunken; jetzt entzieht er sich ihnen, kehrt in die Welt Gottes zurück, bleibt aber auf geheimnisvolle Weise in der Gemeinde der Christen präsent. In früheren Jahrhunderten versuchte man dieses Geschehen darzustellen, indem eine Christusfigur in das Kirchengewölbe hinaufgezogen wurde. Sobald sie den Blicken entschwunden war, regneten Blumen auf die Gottesdienstbesucher herab. 

Der „Vatertag“, der aus Amerika kommend am Himmelfahrtstag mit feuchtfröhlichen Ausflügen begangen wird, hat möglicherweise eine vergessene christliche Wurzel in den Flurprozessionen früherer Zeiten. 

Christian Feldmann ist freier Autor.