Susanne Falcke ist eine der beiden Personen, die für das Amt des/der theologischen Vizepräsidenten/-präsidentin in der Evangelischen Kirche von Westfalen kandidieren. Welche Aufgaben warten auf sie, wie sieht sie sich als Mensch und Theologin? Gerd-Matthias Hoeffchen sprach mit der 51-jährigen Superintendentin des Kirchenkreises Steinfurt-Coesfeld-Borken.
Theologische Vizepräsidentin – das ist das zweithöchste Leitungsamt in der westfälischen Kirche. Welche Herausforderungen sehen Sie?
Susanne Falcke: Das Amt ist eigentlich klar umschrieben – es geht um theologische Leitungsaufgaben, auch um die Verantwortung für die Diakonie. Einiges wird sicherlich so bleiben, aber aktuell gibt es einen Beschluss der Landessynode, unsere Leitungs-Strukturen umfassend umzubauen. Ich weiß also in etwa, was bisher im Amt geschieht – aber nicht im Detail, was auf mich zukommen würde. Das ist eine Herausforderung, aber auch eine große Chance, Dinge neu zu ordnen. Auch das Präsesamt wird ja neu strukturiert.
Ein wichtiger Punkt wird sein, wie wir mit Macht in der Kirche umgehen. Die Forumstudie hat uns da die Augen geöffnet: Es gibt bei uns oft eine diffuse Machtstruktur, auch wenn wir denken, in der Kirche sei alles auf Augenhöhe. Leitung und Macht sind natürlich nötig – auch in der Kirche. Aber sie sollten klar an Aufgaben und Funktionen gebunden sein.
Sexualisierte Gewalt, vor allem der Umgang mit den Betroffenen, ist eines der wichtigsten Themen überhaupt. Bei uns im Kirchenkreis haben wir gelernt, wie wichtig es ist, im konkreten Fall genau hinzuschauen und sich zu entschuldigen, wenn das dran ist. Es braucht strukturelle Veränderungen in der Interventionsarbeit, klare Zuständigkeiten. Zum Glück verändert sich gerade das Bewusstsein – und mit ihm die Professionalität. Bisher liegt vieles bei den Superintendentinnen und Superintendenten, das reicht aber nicht mehr. Wir brauchen professionellere und unabhängige Strukturen und klare Prozesse.
Dann das Thema Mitgliederschwund. Das tut mir in der Seele weh. Es geht ja nicht nur ums Geld, sondern darum, dass wir Menschen verlieren. Und selbst wenn wir alles richtig machen würden, würde das den Trend nicht einfach umkehren – es gibt einen gesellschaftlichen Entkirchlichungsprozess, dem wir mit einer gewissen Bescheidenheit begegnen sollten. Trotzdem müssen wir natürlich versuchen, unsere Arbeit so gut wie möglich zu machen, überzeugender zu sein.
Auch das Thema Finanzen ist eine gewaltige Herausforderung. Der Mitgliederschwund hat massive finanzielle Folgen. Real haben wir in den letzten Jahren ein Minus von 15 bis 20 Prozent an Finanzkraft– und größere Rückgänge werden noch folgen, wenn die Babyboomer in den Ruhestand gehen. Dazu kommt: Die Evangelische Kirche von Westfalen ist nicht die reichste – wir liegen auf Platz 12 von 19 Landeskirchen. Wir müssen die Beihilfe- und Versorgungskassen sanieren. Jetzt sind Transparenz und Kommunikation das Gebot der Stunde.
Welche Beiträge könnten Sie einbringen, falls Sie gewählt werden?
Ich kann gut Strukturentwicklung. Ich bin eine Pragmatikerin, habe einen klaren Blick und entwickle gerne gemeinsam mit anderen Zukunft. Mein Hintergrund ist pietistisch geprägt – ich bin in einer landeskirchlichen Gemeinschaft groß geworden, habe aber auch vieles davon hinter mir gelassen. Trotzdem trägt mich bis heute eine Herzensfrömmigkeit.
Nach dem Theologiestudium in Münster bin ich nach Berlin gegangen, war zehn Jahre dort. Ich habe in einem Verein zur Aufarbeitung der Folgen der SED-Diktatur mitgearbeitet, mein Vikariat an der Kapelle der Versöhnung gemacht. Dabei habe ich gelernt, was Kirche in politischen Systemen bedeutet.
Später war ich im Münsterland – in Dülmen habe ich damals noch das volle kirchliche Leben erlebt. In Berlin musste ich Taufen selbst organisieren, in Dülmen kamen wir mit den Taufen nicht hinterher – das habe ich geliebt! Auch wenn das heute nicht mehr ganz so blüht, kann ich das sehr wertschätzen.
Ab 2015 kamen viele Geflüchtete in unsere Kirchengemeinde. Ich habe mitgeholfen, eine ökumenische Flüchtlingsinitiative aufzubauen, habe viel gelernt – zum Beispiel von iranischen Christinnen und Christen. Da hat der Glaube noch mal einen ganz anderen Stellenwert im Leben.
Als Assessorin und dann als Superintendentin habe ich viel über Strukturen gelernt – aber am wichtigsten bleibt für mich die Haltung. Der Heidelberger Katechismus beginnt mit der Frage: „Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?“ Diese Haltung muss authentisch sein, persönlich. Zugleich schätze ich die Offenheit unserer Landeskirche in gesellschaftlichen Themen, zum Beispiel im Umgang mit queeren Menschen.
Es gibt Stimmen, die Fusionen der westfälischen, rheinischen und lippischen Kirche fordern…
Ich bin offen dafür. Strukturen sollen dienen – wenn sie nicht mehr passen, müssen sie angepasst werden. Auch im Blick auf die Finanzen: Wir können keinen Wasserkopf bilden, während Gemeinden sparen müssen. Synergien zu schaffen, ist sinnvoll.
Aber konkret muss man genau hinschauen. Die rheinische Kirche etwa geht über mehrere Bundesländer – da ist eine Fusion nicht einfach so umzusetzen. Was wir brauchen, sind offene Gespräche über mehr Zusammenarbeit, zum Beispiel bei Körperschaftsfragen. Im Kirchenkreis Dortmund wird das bereits gemacht. Wichtig wäre es, mehr gemeinsame Grundlinien für unsere Landeskirche zu entwickeln.
Wie stellen Sie sich die Kirche in Zukunft vor?
Ich sehe drei Dinge. Erstens: Wir werden eine bewusste Minderheitenkirche sein – im Münsterland ist das schon immer so gewesen. Das verlangt Bescheidenheit, aber auch Selbstbewusstsein. Wir haben etwas zu sagen – gesellschaftlich und im Blick auf Leben und Sterben. Wir können da viel von der ostdeutschen Erfahrung lernen.
Zweitens: Wir werden uns von der pfarrzentrierten Kirche verabschieden müssen. Die evangelische Kirche ist da manchmal nicht weniger auf das Pfarramt fokussiert als die katholische. Nun gibt es immer weniger Pfarrerinnen und Pfarrer. In meiner pietistischen Biografie gab es nur die Ehrenamtlichen, und trotzdem war die Gemeinschaft dort sehr lebendig. Trotzdem brauchen wir professionelle Strukturen, gutes Management, gut ausgebildete Menschen. Presbyterien sind jetzt schon oft überfordert mit Gebäuden, Finanzen, Verwaltung.
Drittens: Wir werden exemplarisch Kirche sein – nicht mehr überall, aber dort, wo wir sind, deutlich und einladend.
Wie sieht Ihr persönlicher Glaube aus?
Ich weiß mich ganz elementar von Gott gehalten. Ich erlebe, dass er mich leitet und begleitet – gerade in schwierigen Situationen. Für mich ist das Wesen des Glaubens die Liebe – die bedingungslose Liebe Gottes. Und diese Liebe sollten wir entfalten. Es geht nicht darum, Menschen zurechtzubiegen, sondern sie anzunehmen, wie sie sind.
Gott will, dass wir sind – nicht, dass wir werden, wie andere meinen, dass wir sein müssten.
Wie würden Sie sich selbst beschreiben – Mentalität, Temperament, Hobbys, Leidenschaften?
Ich bin westfälisch-pragmatisch – und habe eine unstillbare Neugier aufs Leben. Ich muss allen Fährten nachgehen. Ich bin sehr gerne mit Menschen in Kontakt. Das sind für mich Sternstunden, wenn man miteinander auf einer Wellenlänge ist. Am schönsten ist es, wenn man zusammen lachen kann – dann geht’s mir gut.
Ich lese viel und gerne – vor allem aktuelle Belletristik. Und: Ich lebe für die Gospelmusik. Ich habe einen C-Schein in Kirchenmusik, hatte auch mal überlegt, Musik zu studieren. Ich war und bin immer noch aktiv in der Chorarbeit, auch jetzt in Projektchören mit 100 bis 150 Leuten. Das inspiriert mich auch beruflich: Das Zusammenspiel von Musik und guter Nachricht bringt Lebensbiografien zum Schwingen.
Zur Person: Susanne Falcke
Die 51-jährige Theologin steht seit Anfang 2022 als Superintendentin an der Spitze des Kirchenkreises Steinfurt-Coesfeld-Borken. Sie wurde 1974 in Recklinghausen in der westfälischen Kirche geboren, studierte Evangelische Theologie in Münster und Berlin und absolvierte ihr Vikariat in Berlin. 2008 wurde sie ordiniert und übernahm eine Pfarrstelle in Dülmen, wo sie später Assessorin, also Stellvertreterin des Superintendenten, wurde. 2021 wählte sie die Synode des Kirchenkreises zur Superintendentin – als erste Frau in diesem Amt.
