Steffen Riesenberg ist einer der beiden Personen, die für das Amt des/der theologischen Vizepräsidenten/-präsidentin in der Evangelischen Kirche von Westfalen kandidieren. Welche Aufgaben warten auf ihn, wie sieht er sich als Mensch und Theologen? Gerd-Matthias Hoeffchen sprach mit dem 42-jährigen Superintendenten des Kirchenkreises Gladbeck-Bottrop-Dorsten.
Theologischer Vizepräsident – das ist das zweithöchste Leitungsamt in der westfälischen Kirche. Welche Herausforderungen sehen Sie?
Steffen Riesenberg: Ich sehe als zentrale Aufgabe, die grundlegende Umgestaltung, die in der Landeskirche auf vielen Ebenen angelaufen ist, mitzugestalten und dabei die Präses zu unterstützen, gerade jetzt, wo durch ihren Amtsantritt vieles in Bewegung kommt.
Die Haushaltssicherung, also die Finanzierung, ist dabei grundlegend. Wenn die nicht gelingt, können wir die anderen Veränderungen nicht wirkungsvoll angehen. Da klafft eine Lücke in der Zukunft, die wächst, wenn wir sie heute nicht rechtzeitig auffüllen – etwa bei den Rücklagen für Ruhestandsversorgungen oder der Beihilfe. Zurzeit werden im Landeskirchenamt Zuständigkeiten und Dezernate neu geordnet. Auch die Aufgaben im Amt des Vizepräsidenten oder der Vizepräsidentin werden wohl neu formuliert. Drängend aber ist das Thema sexualisierte Gewalt: Wir dürfen nichts mehr unter den Teppich kehren, dürfen nicht nur reden, sondern müssen handeln. Menschen müssen darauf vertrauen können, dass wir als Kirche sichere Orte schaffen, an denen sie vor Missbrauch geschützt sind.
Welche Beiträge könnten Sie einbringen, falls Sie gewählt werden?
Ich verstehe mich als Moderator. Mir geht es nicht darum, als „unhinterfragter Chef“ aufzutreten – sondern Prozesse zu gestalten, Menschen und Meinungen zusammenzubringen und Entscheidungen möglich zu machen. Schon als Jugendlicher habe ich beim Lokalradio die Moderation von Veranstaltungen gelernt, später Sendungen beim WDR und Morgenandachten gestaltet. Diesen Sinn für Öffentlichkeit bringe ich mit – und auch ein Sendungsbewusstsein, das mich motiviert, Kirche sichtbar und ansprechbar zu machen. Und ich bringe ein Verständnis für Zahlen und Finanzen mit: In den vergangenen vier Jahren habe ich die Ausschüsse der Rechnungsprüfung auf Landeskirchenebene geleitet.

Mein Herz schlägt besonders für das Zusammenspiel von verfasster Kirche und Diakonie. Oft gibt es Berührungsängste zwischen den beiden, aber ich bin überzeugt: Wenn wir diese Barrieren überwinden, machen wir unseren gemeinsamen Auftrag glaubwürdiger. Im Kirchenkreis habe ich Formen entwickelt, um Brücken zwischen den beiden Welten zu schlagen – sei es bei Konfirmandenprojekten im Seniorenzentrum oder bei strukturellen Initiativen wie einer Diakoniesynode. Ich habe acht Jahre in Schweden gelebt und war dort nach meinem Vikariat Pfarrer auf dem Land und in einer Stockholmer Großstadtgemeinde. Diese Zeit hat mir gezeigt, dass Kirche auch ganz anders aussehen kann und trotzdem lebendig bleibt. Offenheit für Neues und die Bereitschaft, mich in ungewohnter Umgebung schnell einzubringen, sind seitdem für mich selbstverständlich.
Es gibt Stimmen, die Fusionen der westfälischen, rheinischen und lippischen Kirche fordern …
Eine Landeskirche ist kein Selbstzweck – sie muss sich immer daran messen lassen, ob sie hilft, ihren Auftrag zu erfüllen, das Evangelium in die Welt zu bringen. Ob wir 2035 noch drei Landeskirchenämter in NRW haben oder nur zwei oder auch nur eines, das kann zur Zeit niemand sagen. Aber durch Rechnungsprüfung habe ich gelernt: Wenn man nur Verwaltungsstrukturen verschmilzt, ist noch kein Euro mehr da. Gute Zusammenarbeit, gemeinsame Ämter und Synergien – etwa im Bereich der Jugendarbeit – sind viel wichtiger als bloßes Institutionendenken. Deshalb bin ich sehr offen für stärkere Zusammenarbeit mit anderen Landeskirchen, aber halte keinen Automatismus für sinnvoll.
Wie stellen Sie sich die Kirche in Zukunft vor?
Sie wird kleiner, flexibler, vielfältiger – und hoffentlich mutiger neue Wege gehen, um das Evangelium ins Gespräch zu bringen. Ich habe im Ausland erlebt, dass Kirche auch in ganz anderen Formen ihren Auftrag erfüllen kann. Es muss nicht alles so bleiben, wie es immer war.
Mein Wunsch ist eine Kirche, die nah an den Menschen ist – in klassischer Gemeindearbeit, aber genauso auch an anderen Orten der Gesellschaft: in Schulen, Krankenhäusern, in der Diakonie und überall dort, wo Menschen Unterstützung und Begegnung suchen. Damit das gelingt, brauchen wir einerseits professionelle, schlanke Leitungsstrukturen; andererseits werden wir auch in Zukunft nicht ohne Verwaltung auskommen – schon in der Apostelgeschichte musste am Ende jemand das Geld zählen.
Steffen Riesenberg will Neues probieren
Mit dem Erprobungsgesetz, das wir in der EKvW gerade auf synodaler Ebene beraten, schaffen wir die Möglichkeit, in Kirchenkreisen und Gemeinden Neues auszuprobieren. Das betrifft nicht nur Verwaltung, sondern Kirchenmusik, Theologie, neue Gottesdienstformen oder ganz neue Arbeitsmodelle. Ich habe an diesem Gesetz mitgeschrieben, weil ich überzeugt bin: Wir müssen mutiger neu denken, was Kirche sein kann.
Wir werden uns auch von manchen Selbstverständlichkeiten verabschieden müssen: Kirche findet nicht nur dort statt, wo Gebäude stehen oder Hauptamtliche den Ton angeben. Vielmehr werden Ehrenamtliche, Prädikantinnen und Prädikanten, projektorientierte Teams und punktuelle Angebote die Vielfalt von Kirche prägen.
Wichtig bleibt dabei: Wir brauchen weiter Expertinnen und Experten für Theologie, für Seelsorge und Verkündigung – das Theologiestudium bleibt zentral. Aber wir sollten offen sein, qualifizierte Quereinsteiger zu fördern und mit neuen Ausbildungsmodellen experimentieren. Und wir müssen mutig sein, Ehrenamtliche gezielt zu gewinnen und auch qualitativ hochwertig auszubilden.
Wie sieht Ihr persönlicher Glaube aus?
Ich habe einen stabilen Kinderglauben – der ist geprägt durch Flötenunterricht im Pfarrhaus, durch die Kinderbibel von Kees de Kort und durch Krippenspiele in unserer Kirche. Ich habe diesen Glauben über die Jahre reflektiert, manchmal auch gehadert, aber verloren habe ich ihn nie. Ich kann mich nicht erinnern, dass es einen Tag in meinem Leben gab, an dem ich nicht geglaubt hätte, dass es einen Gott gibt, der diese Welt in seiner Hand hält und es letztlich gut meint.
“Jesus ist für mich Retter”
Jesus ist für mich Retter – also jemand, der die Welt erlöst, aber auch Lehrer, der einen Anspruch an uns hat. Ein erlöstes Leben ist ein Leben in Nachfolge, ein Leben, das Verantwortung übernimmt für andere, für die Kirche, für die Menschen um uns herum.
Mir liegt am Herzen, Kindern Glaubensgeschichten auf eine positive, einfühlsame Weise zugänglich zu machen. Eltern bringen ihren Kindern Sprache bei – so sollten wir ihnen auch die religiöse Dimension eröffnen. Die Freiheit, sich später dagegen zu entscheiden, gehört selbstverständlich dazu, aber als Kirche dürfen wir das Weitergeben von Glauben nicht aufgeben, sondern müssen es mit Leben, mit Geschichten und mit Mut vorleben.
Wie würden Sie sich selbst beschreiben – Mentalität, Temperament, Hobbys, Leidenschaften?
Ich bin in einem Gartenbaubetrieb aufgewachsen, ich schaue gerne Dingen beim Wachsen zu – im Garten und auch meinen Kindern. Ich versuche, viel Zeit mit der Familie an der frischen Luft zu verbringen. Ich werkle gern, und eine kleine Hobby-Bäckerei habe ich früher auch mal gehabt.
Vom Typ her würde ich mich als pragmatisch, freundlich, zupackend und gelassen beschreiben. Ich bin leicht zu begeistern, aktuell etwa beim Lego-Bauen mit meinem sechsjährigen Sohn. Mich erschreckt so schnell nichts – vielleicht ist das die beste Zusammenfassung.
