Früher wurden Chinesen bestraft, wenn sie mehr als ein Kind bekamen – jetzt wird jede Geburt mit Zuschüssen gefördert. Ob die Geburtenrate gesteigert werden kann, ist aber fraglich.
Erstmals zahlt China landesweit einen Zuschuss für Kinder bis zum dritten Lebensjahr. Das Programm soll die schlechte Geburtenrate ankurbeln und den Rückgang der Bevölkerung aufhalten. Für jedes neu geborene Kind erhalten Familien jährlich 3.600 Yuan, umgerechnet 430 Euro. Nach der jahrzehntelangen Ein-Kind-Politik in China, die erst 2016 aufgehoben wurde, vollzieht die kommunistische Führung damit eine Kehrtwende. Ob die Subventionen aber zu mehr Babys führen und die rapide Überalterung bremsen können, wird angezweifelt.
“Die Lebenshaltungskosten sind zu hoch – besonders in den Städten, was direkt zu hohen Kosten für Kinder führt”, sagt Hai Ying, Mutter von zwei Kindern. “Ich denke nicht, dass ein Zuschuss von 3.600 Yuan die Geburtenrate steigern kann.” Es sei ein systemisches Problem: “Hohe Wohnungskosten, hohe Ausgaben für Bildung, ungleiche Verteilung der Ressourcen, übermäßiger Wettbewerb und andere Faktoren setzen junge Paare massiv unter Druck.” 3.600 Yuan reichten für ihre Familie so gerade für zwei Monate Kindergarten oder ein Drittel der Monatsmiete. “Es hat wirklich keinen bedeutenden fördernden Effekt auf die Familie.”
Das nach Indien nur noch zweitbevölkerungsreichste Land steht gleich vor zwei demografischen Herausforderungen: Eine rückläufige Zahl von Geburten und eine schnell alternde Gesellschaft. Die Geburtenrate war sieben Jahre rückläufig, bevor sie im vergangenen Jahr nur leicht anstieg – bedingt durch das glückverheißende Jahr des Drachen.
Auch wollen immer weniger Chinesen überhaupt noch heiraten. Im vergangenen Jahr haben so wenig Chinesen geheiratet wie seit 1980 nicht mehr. Die Zahl fiel im Vorjahresvergleich sogar um 20,5 Prozent auf 6,1 Millionen. Dahinter stecken eine abnehmende Zahl junger Erwachsener, schlechte Aussichten für Hochschulabsolventen, eine veränderte Einstellung zur Ehe und eine zunehmende Polarisierung der Geschlechter, wie Experten meinen. Junge Menschen hatten es noch nie so schwer wie heute, einen Job zu finden. Für Männer, die in China meist eine Wohnung oder hohe Mitgift in die Ehe mitbringen müssen, sind Hochzeiten kostspielig.
Das Programm sei ein “Meilenstein”, aber der Umfang sei “zu klein, um kurzfristig nennenswerte Auswirkungen auf die Geburtenrate zu haben”, befinden die China-Ökonomen Zichun Huang und Julian Evans-Pritchard von Capital Economics. Die Erfahrung in anderen ostasiatischen Ländern wie Südkorea oder Japan habe auch gezeigt, dass es selbst mit großzügiger Unterstützung schwierig sei, den Rückgang der Geburtenrate umzukehren. Es sei “kein Problem, das sich allein mit Geld lösen lässt”, schreiben die Experten des in London ansässigen Forschungsinstituts.
“Der Rückgang der Geburtenrate ist unvermeidlich, wie ein riesiger Fels, der den Hügel hinabrollt”, sagt der bekannte Bevölkerungsforscher Yi Fuxian von der Universität Wisconsin-Madison. “Es wird für China sehr schwierig sein, ihn wieder bergauf zu bewegen.” Er sieht nicht nur das Problem, dass sich Familien die Kinder nicht mehr leisten können. Auch nehme die Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter ab, während sie immer älter werden, bevor sie ihr erstes Kind bekämen.
Kulturell habe die jahrzehntelange Ein-Kind-Politik die familiären Werte untergraben. Yi Fuxian erinnert daran, dass Familien früher bei Verstößen zwischen drei und zehn Jahreseinkommen Strafe zahlen mussten, während jetzt nur 3.600 Yuan für ein Kind geboten werden. Chinas Regierung könne nur schwer umschalten: “Sie können die Menschen weder dazu zwingen zu heiraten, schwanger zu werden oder sich einer Fruchtbarkeitsbehandlung zu unterziehen – noch können sie Verhütungsmittel verbieten”, sagt Yi Fuxian. “Die Förderung der Geburtenrate erfordert höhere staatliche Ausgaben für Elterngeld, Kinderbetreuung und Bildung.”