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Jurist zu Grundsicherung: Wenig Spielraum für verschärfte Sanktionen

Der Hamburger Jurist Michael Fehling sieht bei der geplanten Verschärfung der Sanktionen in der neuen Grundsicherung enge Grenzen. Generell bleibe nach Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2019 „unklar, um wie viel Prozent man unter bestimmten Bedingungen kürzen kann“. Aber für ihn liege die Grenze dessen, was an Kürzungen möglich ist, „eher an den 30 als an den 60 Prozent, die das Gericht damals verboten hat“, sagte der Professor der Bucerius Law School dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Ob die vollständige Kürzung der Leistungen in der neuen Grundsicherung rechtlich möglich ist, ist bei Fachleuten umstritten. Das Bundesarbeitsministerium hat inzwischen den Gesetzentwurf zur Bürgergeldreform ausformuliert. Mit Blick auf die Sanktionen ist geplant, künftig Menschen, die etwa mehrfach Termine im Jobcenter versäumen, den Regelsatz komplett zu streichen.

Fehling rechnet vor diesem Hintergrund damit, dass Karlsruhe erneut über die Sanktionen bei Hilfebeziehern entscheiden muss. „Zwar ist für mich das schwarz-rote Vorhaben, die Sanktionen in der künftigen Grundsicherung deutlich zu verschärfen, kein kalkulierter Verfassungsbruch“, sagte der Professor, der Öffentliches Recht lehrt. Aber das Risiko einer erneuten Klage und gegebenenfalls Beanstandung der Neuregelung in Karlsruhe nehme die Bundesregierung offensichtlich bewusst in Kauf.

Es stimme, dass das Bundesverfassungsgericht nicht explizit gesagt habe, was bei den Sanktionen nicht mehr geht. „Es hatte nur über ein ganz bestimmtes Gesetz zu entscheiden. Es ging um Leistungskürzungen von zunächst 30 Prozent, später um 60 Prozent und dann, nach dreimaliger Verweigerung der Mitarbeit im Jobcenter, die vollständige Kürzung als letztes Mittel“, sagte der Jurist.

Es sei offen, wo zwischen den Polen von 30 und 60 Prozent die Schmerzgrenze verläuft. „Nach meiner Interpretation des Urteils gibt es Anhaltspunkte, dass wirklich nicht mehr viel mehr geht, als damals als noch verfassungskonform eingestuft worden war.“ Aber das Gericht habe eben nicht gesagt, was generell zulässig ist und was nicht. „Und vor allem, für welche Versäumnisse welche Sanktionen verhängt werden dürfen. Bloße Meldeverstöße sind nicht gleichzusetzen mit der totalen Verweigerung der Mitarbeit.“

Aus dem Urteil könne man herauslesen, dass die jetzt vorgesehen Totalkürzung nicht völlig ausgeschlossen ist. Doch das sei an die Bedingung geknüpft, dass der Betreffende akut auch die Möglichkeit habe, eine verfügte Kürzung sofort wieder durch eigene Mitwirkung rückgängig zu machen. „Also zum Beispiel, wenn er eine Arbeitsmöglichkeit zunächst abgelehnt hat, dann aber vor dem Hintergrund der angedrohten Sanktion den Job doch annimmt. Dann wäre die Kürzung unmittelbar wieder vom Tisch. Diese Chance muss aber auch real gegeben sein.“