Israelischer Konditor in Berlin über Torten, Sinnsuche und Krieg
Für die Torten aus Aviv Koriats Kuchenmanufaktur in Berlin und Weimar stehen die Menschen stundenlang Schlange. In jeder Köstlichkeit steckt immer auch ein Stück seiner Heimat Israel. Ein Bäckereibesuch in Kriegszeiten.
Als die Angriffe der Hamas auf Israel begannen, nahm Aviv Koriat Mais, Butter, Brokkoli, Hirse, Zwiebeln und Kürbis, kochte daraus einen warm-dampfenden Trost, setzte sich vor seinen Laptop in Berlin und verfolgte essend die Nachrichten in seiner Heimat: „Meinen Körper machte das Essen glücklich, aber meine Seele blieb traurig.“ Zu tief sei sein Schmerz, über das, was da geschah, die Sorge um Freunde und Familie in Israel.
Eigentlich macht Avivs Essen immer glücklich. Für seine orientalisch inspirierten Torten, die er in seiner Kuchenmanufaktur in Berlin und Weimar fertigt, stehen Menschen stundenlang an. „Mit Essen erreichst du das Herz der Menschen. Das gibt mir ein gutes Gefühl“, sagt er. Es ist einer der tieferen Gründe, warum der Produktdesigner 2004 mit Anfang 40 sein Unternehmen in Tel Aviv an den Nagel hängte. „Ich war erfolgreich, aber irgendwie fehlte mir bei meiner Arbeit eine tiefere Erfüllung für mein Leben“, erzählt er. Dass er in Berlin, in einem fremden Land, dessen Sprache er nicht sprach und wo er keinen kannte, ausgerechnet mit Kuchen so viel Erfolg und Erfüllung finden würde – das war alles andere als absehbar.
In Berlin machte er zunächst „tabula rasa“: Er war allein, hatte keinen Job, keine Idee, ließ sich durch die Krise treiben und sann der Frage nach, wer er eigentlich sei? Aviv Koriat, aufgewachsen in einem Kibbuz in Israel, Sohn jüdischer Eltern, empfindet sich als gläubig, aber nicht als religiös, liebt große Familienessen. „Irgendwann backte ich in Berlin einen Kuchen und klingelte einfach bei meinem Nachbar, einem Afrikaner“, erzählt Koriat und muss dabei lachen. Beim gemeinsamen Kuchenessen entpuppte sich der Nachbar als Profi-Koch, der Aviv ermutigte, seine Backkünste auszubauen.
Und so verschlang er alles, was er dazu fand, backte, verschenkte es in der Nachbarschaft und knüpfte soziale Kontakte. „Miteinander essen ist der einfachste Weg, ehrlich mit einem Fremden ins Gespräch zu kommen. Ein bisschen wie bei Jesus mit dem Brotteilen“, erzählt Koriat. „Mit Essen verbinden die meisten Menschen Familienerinnerungen. Da bekommen Gespräche oft Tiefe.“
Eines Tages kam er so zu seinem ersten festen Job als Konditor, wenig später eröffnete er seinen ersten eigenen Laden. „Ich bin kein Konditor im klassischen Sinne. Ich backe“, betont er. Dabei brauche es die Freiheit, sich auf sein Gefühl zu verlassen: „Wie beim Malen oder in der Musik ist der Augenblick des Schaffens äußerst wichtig, der Augenblick der Gegenwart.“
Inspiriert ist Koriat indes aus der Vergangenheit, vom Geschmack der Heimat, von frischem Obst und Nüssen. Vor allem von seiner Tante Sol, die die Männer in die Synagoge schickte und den kleinen Avid unterdessen das Kochen lehrte. „Und auch die Ehrfurcht vor dem Essen.“ So vollgestopft wie ihre kleine Wohnung sei auch seine kleine Konditorei, sagt er schmunzelnd und übertreibt ein bisschen. Vollgestopft sind allenfalls die Vitrinen mit diversen Obst-Tartes, zitronigem Mohnkuchen, Fudge-Brownies und Orientalischer Orange sowie mehrere riesige Kühlschränke, in denen sich dutzende Kuchenböden für die nächsten Köstlichkeiten stapeln.
Koriat sagt, er sei ein Chaot. Aber zugleich beim Backen ein Perfektionist. Doch er habe gelernt, dass es lähmt, von anderen denselben Perfektionismus zu verlangen. „Wichtig ist, jeden Menschen mit seinen Eigenarten anzunehmen.“ Eine seiner Mitarbeiterinnen ist Analphabetin, ihr musste er Rezepte anders als mit Buchstaben und Zahlen erklären, mehr intuitiv. Und doch lernte sie mit der Zeit über die Arbeit in der Backstube Lesen und Schreiben. Eine andere fand als Autistin einen passenden Platz in der Kuchenmanufaktur. „Effizienz ist nicht alles. Es ist wichtig, den Menschen zu sehen, seine Seele. Für jeden gibt es einen Platz.“
Sein Platz sei jetzt in Deutschland, sagt Koriat. „Ich habe das Land Israel hinter mir gelassen. Aber Israel lässt mich nicht los, es bleibt doch tief in mir als meine Heimat.“ Und so sei das, was jetzt dort geschehe, auch sein Alptraum.