Frau Helmke, was ging Ihnen denn durch den Kopf, als Sie zur Generalsuperintendentin gewählt wurden?
Julia Helmke: Ich empfand große Freude, Hochachtung für die Mitbewerber und Mitbewerberinnen und zugleich Demut angesichts der Aufgabe, die vor mir liegt. Dass ich im ersten Wahlgang gewählt wurde, gab mir das Gefühl, dass Gott und die gewählten Verantwortlichen vor Ort wollen, dass ich hier diene. Das half mir als Fundament für den künftigen Weg und auch beim Abschiednehmen von meinem bisherigen Leben in Hannover. Bei der Wahlsynode herrschte eine gelassene Heiterkeit und Vorfreude , sich gemeinsam auf den Weg zu machen – das habe ich als wohltuend und ermutigend erlebt.
Sie starteten Ihr Amt zeitgleich mit dem Berliner CSD – schön bunt. Mit welchem Gefühl gehen Sie jetzt in diese Aufgabe?
Das war grandios! Für mich war es ein Geschenk, dass ich zum Sommer hin und mit einem starken Einstieg wie dem CSD beginnen konnte. Ein klares Bekenntnis der EKBO zur Menschenwürde für Alle, ein kraftvoller Gottesdienst in interreligiöser und internationaler Perspektive. Berlin as its best! Die Leichtigkeit, Verbundenheit und Vielfalt waren spürbar – eine sommerliche Leichtigkeit, die Berlin ja sonst nicht immer ausstrahlt. Ich bin sehr freundlich aufgenommen worden und gerade dabei viele Antrittsgespräche zu führen. Die Haltung der Neugier auf den Sprengel Berlin trägt mich weiterhin, auch wenn der Herbst sehr viele Termine und eher „schwere“ Themen bringt. Ich lerne täglich Neues, vergleiche es mit meinen bisherigen Erfahrungen und frage ab und an: „Warum ist das so? Muss alles immer so weiterlaufen? Was könnte man anders machen?“ Ich versuche, den neugierigen Blick von außen zu bewahren und zugleich offen zu sein für das, was vor Ort wichtig ist und mit großer Expertise gelebt wird.
Natürlich wird jetzt zunächst das Kennenlernen der Akteure und Strukturen anstehen. Aber haben Sie schon Themen, die Sie prioritär angehen möchten?
Ich werde meine bestehenden Netzwerke, etwa aus dem Kulturbereich oder meiner früheren Tätigkeit, wieder aktivieren und vertiefen. Ein bleibendes Thema, das kann ich jetzt schon sehen, wird Erinnerungskultur und ihre jeweiligen Orte: Berlin hat viele kirchliche und säkulare Orte, die sich damit beschäftigen. Wie können diese Orte lebendig und in unserer Mitte gehalten werden, was gibt es hier für Kooperationsideen? Ein weiteres Thema ist Wohnen, besonders kirchliche Räume – Umnutzung, Nachnutzung, Mitnutzung. Ich höre zu, lerne, wie diese Themen an verschiedenen Orten angegangen werden, und überlege, wie wir uns im Sprengel, ökumenisch und in der Stadtgesellschaft stärker vernetzen können. Zugleich ist es mir wichtig auch geistlich im Sprengel zu wirken, Gottesdienste zu halten, all unser Tun und Lassen von der biblischen Botschaft her zu denken.
Viele Berliner haben Distanz zur Kirche – wie wollen Sie Nähe und Relevanz schaffen?
Eine einzige Lösung gibt es nicht – Berlin ist zu groß und vielfältig. In den Kirchenkreisen, etwa im Kirchenkreis Stadtmitte, gibt es bereits viele Angebote und intensive Zusammenarbeit im interkulturellen und interreligiösen Miteinander, da muss ich als Generalsuperintendentin jetzt nichts neu erfinden. In den kommenden Monaten will ich zunächst wertschätzend zuhören: Was läuft gut, was nicht, und warum? Mein Ziel ist, wahrzunehmen, kennenzulernen und darüber Auskunft zu geben. Viele Menschen wissen nicht, welche Angebote die Kirche bietet – dafür ein wahrnehmbares Gesicht zu sein, sehe ich als klare Aufgabe. Gleichzeitig geht es darum, über Öffentlichkeitsarbeit sichtbar zu werden, sich mit bestimmten Themen zu profilieren und immer wieder zu zeigen, was kirchlich in dieser Stadt möglich ist. Ich erlebe den starken Wunsch, offen auf das Gemeinwesen zuzugehen. Diese Haltung ist zentral, und ich möchte sie nachdrücklich unterstützen. Vernetztes Arbeiten ist entscheidend. Mein Motto „Vielfalt verbindet“ bezieht sich nicht nur auf Lebensformen, sondern auch auf die Vielfalt unseres Glaubens, die verbindend und stärkend wirkt.

Welche Best Practices aus Ihrem beruflichen Erfahrungsschatz möchten Sie für Berlin nutzen?
Berlin bringt mit seinen Erfahrungen oft selbst Best Practices für andere Landeskirchen und die EKD hervor! Neue Formen von Kasualkultur, etwa durch das Segensbüro, oder mutige Projekte wie die „Startbahn“ in Neukölln sind für mich echte Vorzeigeprojekte, die ohne Angst neue Wege gehen. Aus der hannoverschen Landeskirche, die stark ländlich geprägt ist, habe ich gelernt, dass innovative Projekte nicht nur für urbane Gesellschaften passen, sondern auch für dörfliche und kleinstädtische Strukturen. Der Sprengel umfasst mehr als Berlin. Stadt und Land gehören in aller Unterschiedlichkeit zusammen. Gerade bei knapper werdenden Ressourcen geht es darum, Unterschiede nicht trennen zu lassen, sondern gegenseitige Stärkung und gemeinsame Möglichkeiten zu fördern. In Berlin geht es darum, mit den vorhandenen Ressourcen auch stärker stellvertretend zu wirken. Nicht überall muss alles vorgehalten werden. Es gilt gabenorientiert und kontextsensibel gute Lösungen zu finden.
Wie wollen Sie Kirchenmusik trotz knapper öffentlicher Mittel für alle zugänglich halten?
Für mich ist klar: Kirchenmusik ist Verkündigung der Liebe Gottes auf besondere, ganzheitliche Weise und darf kein Randthema sein. Sie kommuniziert das Wort Gottes nicht nur durch Predigt, sondern auf andere Weise – Lieder berühren Menschen in der Tiefe. In der Trauerarbeit erreicht Musik andere Tiefenschichten als Worte. Luther sagte ja: Musik ist die schönste Gottesgabe. Kirchenmusik ist vielfältig – von klassisch bis populär, mit Bläserarbeit, Kinderchören oder generationenübergreifendem Singen, auch für Menschen mit Demenz. Sie ist mehr als Musik: Ehrenamtsarbeit, diakonische Arbeit und Ausdruck lebendiger Gemeinschaft. Das alte Bild von Kirchenmusik als Bach, Chor und Orgel zeigt nur einen Teil. Wichtig ist, gemeinsam mit Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker die Ressourcen so einzusetzen, dass die ganze Breite sichtbar wird. Über Jahrhunderte war Kirchenmusik ein starkes Fundament evangelischen Christseins – und bleibt es auch heute.
Gibt es schon konkrete Projekte, auf die Sie sich besonders freuen?
Ich freue mich darauf, im nächsten Jahr alle zehn Kirchenkreise besuchen und besser kennenzulernen. Damit habe ich schon begonnen, indem ich Gespräche mit allen Superintendenten und Superintendentinnen geführt habe. Dieses Kennenlernen möchte ich direkt in den Kirchenkreisen fortsetzen – mit den Menschen, die sich vor Ort engagieren. Aktuell freue ich mich auf das Wiedersehen mit alten und neuen Freundinnen und Freunden bei meiner Einführung. Gespannt bin ich auf das erste Treffen mit dem Gesamtephorenkonvent. Am Seddiner See werden wir neben notwendigen Strukturfragen uns dem Thema Flucht und Migration widmen. Ich kann meine Leidenschaft einbringen, Filme zum Thema vorzustellen, die zur Reflektion und Perspektivwechsel einladen und Thema in der Andacht literarisch aufgreifen. Auf diesen Austausch freue ich mich.
Eine Ihrer ersten Amtshandlungen war eine Dienstreise mit dem Bischof. Wie waren Ihre Erfahrungen auf der Reise nach Israel und in die palästinensischen Gebiete?
Die Israel-Palästina-Reise war für mich eine besondere Gelegenheit die Schule Talitha Kumi in der Nähe von Bethlehem kennenzulernen. Die EKBO ist mit ihrem Missionswerk Trägerin dieser evangelischen Schule, in der über 800 Jugendliche gemeinsam lernen über Religionsgrenzen hinweg. Daneben haben wir viele Projekte besucht, die wir als EKBO unterstützen und sowohl mit einer jüdischen Gemeinde als auch mit unserer Partnerkirche in Jerusalem Gottesdienst gefeiert. Dabei wurde mir deutlich, wie wichtig Dialog und Begegnung gerade in einer Zeit sind, in der es scheinbar notwendig, ist sich einseitig zu positionieren und Dialog fast schon als Verrat wahrgenommen wird. Initiativen wie „Rabbis for Human Rights“, die jüdische Menschen mit Palästinenserinnen und Palästinensern zusammenbringen, zeigen, wie dringend Austausch ist – gerade für junge Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Glaubensrichtungen. Wie nötig ist es, dass solche Initiativen unterstützt werden. Sie geben Raum, um wieder ins Handeln zu kommen, Sprachlosigkeit und Machtlosigkeit zu überwinden.. Gleichzeitig hat mich bewegt, von unserer Partnerkirche im Heiligen Land zu hören, wie groß Unsicherheit und Schmerz dort sind. Viele funktionieren äußerlich, doch tief drin gibt es eine dauerhafte Wunde. , worauf können wir uns noch verlassen? Fragen von Rechtsstaatlichkeit und Schutz werden infrage gestellt. Ständig braucht es Plan A, B oder C, um von einer Situation zur nächsten zu kommen, was das Leben vor Ort sehr schwer macht.
Eher der Begriff Regionalbischöfin oder Generalsuperintendentin?
Eher Regionalbischöfin. Ich glaube, dass das auch nach außen eine gewisse Klarheit vermittelt. Es ist ein geistliches Leitungsamt. Der Begriff Generalsuperintendent ist, wenn ich die Reaktionen gerade aus der Zivilgesellschaft auf diesen Begriff deute, nicht leicht verständlich, aber gleichzeitig achte ich die Tradition, die im Titel und im Amt mitschwingt. Er zeigt eine gewisse Zurückhaltung gegenüber einem hierarchischem Bischofsverständnis und betont die Stärke des Miteinanders von Ehren- und Hauptamtlichen. Die EKBO lebt von kooperativer Leitung. Das gefällt mir.
Dr. Julia Helmke ist promovierte Theologin. Sie war unter anderem Kulturbeauftragte der Landeskirche Hannovers und Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages. Seit März 2025 ist sie Generalsuperintendentin des Sprengels Berlin.
