Initiative in Haifa kämpft für Erhalt von historischem Viertel
In Haifa wird in Zukunft vielleicht ein Armeestützpunkt frei. Die staatliche Behörde hätte dort gern ein paar Hochhäuser. Anwohner und Religionsgemeinschaften sind weniger begeistert.
Tschernichowski-Straße, Haifa, 13. Stock. Der Blick aus dem Fenster gleitet von den Umrissen des Karmeliterklosters Stella Maris im Nordwesten zum Bahai-Obelisken etwas weiter südöstlich, der an den Besuch von Religionsgründer Baha Ulla im Jahr 1891 erinnert. Im Hintergrund: die Bucht von Haifa, vor der das Karmelgebirge steil abfällt. Fotos an diesem Ort müssen zur Veröffentlichung durch die Zensur der israelischen Armee: Die rund zwölf Hektar zwischen Karmelitern und Bahai sind einer von drei Armeestützpunkten in dem Gebiet – und Gegenstand engagierter Diskussionen. Der staatliche Besitzer plant nach Aufgabe des Stützpunkts ein Wohnprojekt. Anwohner wollen hingegen eine Parkanlage, die den Charakter des Bergkamms erhält.
Hanna Yaffe sitzt auf dem Sofa und rollt einen Ausdruck aus. Die großformatige Luftaufnahme des Areals unterhalb des Meerblick-Fensters ist mit bunten Markierungen und Illustrationen künftiger Attraktionen versehen. Skulpturen und Sitzgelegenheiten säumen da die Anlage um ein zentrales Besucherzentrum in Form eines Seesterns. Stella Maris, Seestern, heißt das Gebiet nach dem gleichnamigen Kloster. Yaffe ist Landschaftsarchitektin, preisgekrönt. Ihr zu Füßen liegt ihr Entwurf für die zwölf Hektar, die heute noch unzugänglich hinter Mauern und Stacheldraht der Armee liegen: ein „Freundschaftspark“, spirituell und für alle Altersklassen, Symbol der friedlichen Koexistenz der vielen Religionen in Haifa.
Der Park zwischen Kloster und Bahai-Garten ist ein Gegenentwurf zu den Plänen der israelischen Landbehörde. Die wolle hier etwa 20 Wohntürme mit rund 15 Stockwerken bauen, sagt Yael Amitai. Bis vor kurzem stand sie an der Spitze der gemeinnützigen Organisation „Carmel Public Forum“, die gegen das Bauprojekt auf dem Karmel kämpft. Ende Oktober stellt sie sich in den Kommunalwahlen den Wählern. Das Forum hat sie in die Hände von Galia Becker gegeben, „um keine Politik in die Organisation reinzubringen“.
Für Yaffe, Amitai und Becker liegen die Nachteile der staatlichen Baupläne klar auf der Hand: Rund 60 Meter hohe Gebäude würden wie eine Wand die Sicht zerstören, wohlhabende neue Anwohner die Alteingesessenen verdrängen, mehr Autos das gewachsene Viertel verstopfen – von fehlenden Grünflächen, Luft zum Atmen und Verteilungsgerechtigkeit ganz zu schweigen. „Wir sind nicht gegen eine Entwicklung Haifas und glauben auch nicht, dass die Landbehörde böse ist“, sagt Becker. Doch fehle es der Behörde an einer Vision. „Sie planen ein hübsches neues Viertel. Nur haben sie dabei die Nachbarn vergessen.“
Der Haupteinwand der Baugegner ist jedoch ein anderer. „Der Charakter der Gegend ist einzigartig, sie ist von historischer und religiöser Bedeutung“, so Becker. Hier liegt die Höhle, die nach der Überlieferung dem biblischen Propheten Elija als Wohnort und später als Grab diente. Hier soll es nach dem ersten Königsbuch zum tödlichen Kräftemessen zwischen Elija und dem Gott Baal gekommen sein. Eine zweite Grotte, weiter unten Richtung Meer, soll der Rückzugsort Elijas vor der Konfrontation gewesen sein. Juden, Christen, Muslime, Bahai, Drusen und der Volksglaube: Alle hängen sie irgendwie an dem kleinen Flecken Land, auf dem in neuerer Zeit auch Deutsche, Briten und Franzosen ihre Spuren hinterließen.
Die Argumente haben inzwischen auch die Bürgermeisterin und viele Vertreter der Stadt überzeugt, die die Einwände gegen den Bau zunehmend unterstützen. Solidarität sieht das „Carmel Public Forum“ auch bei den religiösen Nachbarn rechts und links des Armeestützpunkts, denen das Gebiet heilig ist. Man sei nicht grundsätzlich gegen eine Entwicklung des Geländes, erklärt David Rutstein, Generalsekretär der internationalen Bahai-Gemeinschaft, im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Die Bahai, die den Bau eines Gotteshauses auf ihrem Land planten, sorgten sich aber um den Schutz der Heiligkeit der Stätte.
In ihren Einwänden fordert die Glaubensgemeinschaft etwa, dass ein Abstand zu ihrem Grundstück und die maximal in Haifa erlaubte Bauhöhe eingehalten werden, keine wilden Partys auf den Dächern stattfinden und eine Lösung für das absehbare Verkehrsproblem gefunden wird. „Sollte statt Häusern ein Park auf dem Gelände entstehen, wären wir glücklich“, unterstützt Rutstein die Alternatividee.
Zurückhaltender, aber mit ähnlichem Tenor äußern sich die nördlichen Nachbarn des Stützpunktes. Die Klostergemeinschaft stehe nicht für Medienanfragen zur Verfügung, sagt Ordensoberer Jean-Joseph Bergara. Der Armeestützpunkt liege auf staatlichem Land und sei rechtlich nicht mit dem Kloster verbunden, erklärt Raja Jammal, Christ aus Haifa und Anwalt des Klosters, die Zurückhaltung. Grundsätzlich unterstütze das Kloster aber den Erhalt des Panoramas, der Landschaft und des historischen Erbes in diesem Teil der Stadt. Selbst eigene Baupläne der Klostergemeinschaft, „in wesentlich kleinerem Rahmen und einschließlich Park und Gebetsorten“, liegen seit 2012 auf Eis, sagt Jammal.
Dass in Haifa Wohnungsnot herrscht und entsprechende Stadtplanung dringend ist, weiß man auch beim „Carmel Public Forum“. Der Gewinn von „ein paar hundert Wohnungen gegenüber 80.000 geplanten Wohnungen insgesamt“ wiege aber den Verlust des Karmel und damit eines Teils des besonderen Charakters der Stadt nicht auf. Gewinnbringend könne vielmehr der Erhalt des Gebietes sein, nicht zuletzt für den Tourismus, indem die Attraktivität Haifas gestärkt werde. „Haifa und der Karmel sind eine Oase des Friedens für alle, gleich welchen Glaubens“, sagt Anwalt Jammal. „Auf sie müssen wir achten.“