Immer auf der Suche: Erfolgsautor Haruki Murakami wird 75

Haruki Murakami schreibt Romane wie unergründliche Märchen. Seine einsamen Helden prüfen sich, scheitern, machen übersinnliche Erfahrungen. Am 12. Januar wird der japanische Erfolgsautor 75 Jahre alt.

Der japanische Autor Haruki Murakami begeistert seine Leserinnen und Leser immer wieder aufs Neue
Der japanische Autor Haruki Murakami begeistert seine Leserinnen und Leser immer wieder aufs NeueImago / AFLO

Ungeheuer produktiv und mit einem weiten Horizont: Haruki Murakami ist im Ausland der wohl bekannteste japanische Gegenwartsautor. Seine Romane und Erzählungen wie „Wilde Schafsjagd“ oder „Mister Aufziehvogel“ wurden in rund 50 Sprachen übersetzt. Sie tauchen ein ins Japan der vergangenen vier Jahrzehnte – auch vor dem Hintergrund von Murakamis Neigung zur westlichen Kultur. Am 12. Januar wird der Autor, der immer wieder auch als Nobelpreiskandidat genannt wird, 75 Jahre alt. An dem Tag erscheint auch sein neues Buch auf Deutsch: „Die Stadt und ihre ungewisse Mauer“.

Murakami kommt 1949 in der alten Kaiserstadt Kyoto zur Welt, wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Atomkatastrophe von Hiroshima und Nagasaki. Die Kindheit verbringt er in der Hafenstadt Kobe, wo seine Eltern als Lehrer arbeiten und Harukis Interesse an Literatur wecken. Schon früh fesselt ihn westliche Musik und Literatur, ob Beatles, Brahms oder Truman Capote. Später, Anfang der 1990er Jahre, wird er Gastprofessor in den USA, an der Princeton University und der Medford University.

Murakami wächst als Einzelkind auf

Er wächst als Einzelkind auf, eine Erfahrung, die in seinen Werken immer wieder zum Ausdruck kommt. Etwa in dem Roman „Südlich der Sonne, westlich der Grenze“ (1992), auf Deutsch zuerst als „Gefährliche Geliebte“ erschienen. „Hättest du gern Geschwister gehabt“, wird der Held Hajime einmal gefragt. „Nein“, sagt er, „dann wäre ich nicht wie ich bin.“

Murakami heiratet 1971, er und seine Frau Yoko entscheiden sich gegen Nachwuchs: Er will sich möglichen Kindern nicht als Vater zumuten. Heute lebt das Paar in dem Küstenstädtchen Oiso auf der japanischen Hauptinsel Honshu. Kennengelernt haben sie sich 1968 an der Privatuniversität Waseda. Haruki studierte Theaterwissenschaften, jobbte in einem Plattenladen. So ist es nicht erstaunlich, dass manche Buchtitel sich auf Popsongs beziehen – etwa „Naokos Lächeln“ (1987), im Original „Noruwei no mori“ nach dem Beatles-Titel „Norwegian Wood“.

Die Handlung ist angesiedelt in Tokio, Ende der 1960er Jahre. Der Song beflügelt den Studenten Toru, der sich unglücklich in die rätselhafte depressive Naoko verliebt, überdies von der ebenso rätselhaften Kommilitonin Midori fasziniert ist, und schwer am Verlust seines Freundes Kizuki leidet, der Suizid beging. Diese Wunde sitzt tief.

Roman „Naokos Lächeln“ wurde wegen seiner Sexszenen kritisiert

Der Roman wurde wegen seiner Sexszenen kritisiert, doch legen sich die depressiven Untertöne wie ein grauer Schleier darüber. Der Regisseur Tran An Hung verfilmte das Werk 2010. Auch Erzählungen des Autors haben Filmemacher inspiriert, etwa 2021 zu „Drive my Car“, der von Gefühlen wie Trauer und Wut erzählt.

Der japanische Erfolgsautor Haruki Murakami wird am 12. Januar 2024 75 Jahre alt.
Der japanische Erfolgsautor Haruki Murakami wird am 12. Januar 2024 75 Jahre alt.Imago / ABACAPRESS

Die Geschichte von Murakamis Einstieg in das Schreiben könnte aus seinen Büchern stammen. Es ist eine Anekdote, die er selbst oft beschrieben hat: 1978 saß er als Zuschauer im Stadion bei einem Baseballspiel. Im Moment eines eindrucksvollen „Two-Base-Hits“ kam ihm schlagartig die Eingebung „Ich schreibe einen Roman.“ Er tat es, und 1979 erschien „Wenn der Wind singt“.

Verlust und Tod, Einsamkeit und Gefühlsunsicherheit spielen eine wichtige Rolle im Alltag der Murakami-Helden. In „Wilde Schafsjagd“ (1982) versucht ein namenloser Typ um die 30, den Ort zu finden, an dem ein rätselhaftes Tierfoto entstand. Es geht um ein einzigartiges Schaf, hinter dessen Existenz sich eine wundersame Geschichte verbirgt. Der Leser wird in den Roman wie in ein unergründliches Märchen hineingezogen. Frei fliegende Gedanken schwingen sich wie Traumfetzen in die Szenen. Das hat einen surrealen Effekt, genau wie in der Fortsetzung „Tanz mit dem Schafsmann“ (1988).

Reiz vieler Murakami-Geschichten: Mischung aus mystischen und realistischen Elementen

Die Mischung aus mystischen und realistischen Elementen macht den Reiz vieler Murakami-Geschichten aus. Sie kreisen um Liebe, Sehnsucht nach Zuneigung, Aufgehobensein und sexuelle Begierden. Seine Helden, häufig kontaktscheue Einzelgänger, erproben sich, scheitern, machen fast übersinnliche Erfahrungen. Fließend entfalten sich die Geschichten auf mehreren Ebenen.

Einer seiner erfolgreichsten Romane, „Kafka am Strand“ (2002), erzählt die tragische Geschichte eines Jungen namens Kafka, der durch Flucht aus dem Land einem väterlichen Fluch zu entgehen versucht. In „Mister Aufziehvogel“ (1995) wird ein junger Arbeitsloser von seiner Frau verlassen und versucht klarzukommen. Im Monumentalroman „1Q84“ geht es um Missbrauch, eine Sekte und eine Parallelwelt.

„Dass unter der Oberfläche ein Chaos verborgen sein könnte, war mein Lebensgefühl von Anfang an“, sagte Murakami nach dem Erdbeben von Kobe mit Tausenden Toten am 17. Januar 1995 und dem Giftanschlag in der U-Bahn in Tokio am 20. März desselben Jahres. Eine Katastrophe, die ihn aus den USA nach Japan zurückkehren ließ und in dem Erzählungsband „Nach dem Beben“ mündete.

Murakami: Laufen und Schreiben sind feste Bestandteile seines Alltags

Zu Murakamis neueren Werken gehört „Die Ermordung des Commandatore“ (2017) – es ist die geheimnisumwitterte Geschichte eines einsamen Porträtmalers, der nach langem ziellosem Umherirren in einem abgelegenen Haus merkwürdige Dinge erlebt.

„Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede“ erzählt autobiografisch über seine Laufbegeisterung. Seinen ersten Marathon absolvierte er ganz allein, in Griechenland. Laufen und Schreiben sind für Murakami feste Bestandteile seines Alltags: „Wenn ich laufe, laufe ich einfach. Die Gedanken, die mir beim Laufen durch den Kopf gehen, sind wie Wolken am Himmel. Sie kommen und ziehen vorüber.“