In der DDR: Durch Gefängnispfarrer verraten

Pfarrer Eckart Giebeler spitzelte für die Stasi. Auch nach seiner Enttarnung zog die Kirche keine Konsequenzen. Höchste Zeit für ein deutliches kirchenleitendes Signal.

Das Frauengefängnis Hoheneck – zu DDR-Zeiten: Strafvollzugseinrichtung (StVE) Stollberg (Hoheneck). Der Name „Hoheneckerinnen“ wurde zum Synonym für die aus politischen Gründen inhaftierten Frauen in der DDR. Etwa 24 000 Frauen waren in Hoheneck inhaftiert. Es gab Zellen für Isolationshaft und Dunkelhaft
Das Frauengefängnis Hoheneck – zu DDR-Zeiten: Strafvollzugseinrichtung (StVE) Stollberg (Hoheneck). Der Name „Hoheneckerinnen“ wurde zum Synonym für die aus politischen Gründen inhaftierten Frauen in der DDR. Etwa 24 000 Frauen waren in Hoheneck inhaftiert. Es gab Zellen für Isolationshaft und DunkelhaftWikipedia CC BY-SA 2.0

Eine der Wurzeln von Ostern liegt in der Geschichte vom Aufbruch aus dem Land des Todes, der Unfreiheit, im Aufbruch Israels aus der Knechtschaft in die Freiheit. Ostern zu erzählen und zu feiern heißt auch, an das Neuwerden aus der Gefangenschaft, aus der des Todes, zu erinnern. Die Ostergeschichte ist in ihren Tiefen eine Freiheitsgeschichte. Menschen, die zu Unrecht Freiheitsentzug persönlich erlitten ­haben, werden davon ganz anders berührt.

Vor einer Weile schon hatte Christian Stäblein, Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz, Menschen zum Gespräch eingeladen, die als politisch Inhaftierte in der DDR in den Gefängnissen, etwa von Brandenburg an der Havel, Cottbus, Halle, Hoheneck, durch einen Pfarrer verraten worden waren. Eckart Giebeler war einziger staatlich angestellter Seelsorger in der DDR. Es war höchste Zeit für ein deutliches kirchenleitendes Signal an diejenigen, die mit Giebeler ihre Erfahrungen gemacht hatten, ein Signal, das zu verstehen gibt: Diese Geschichte ist für heutige Verantwortliche nicht erledigt.

Verantwortung konkret nennen

Der Verrat eines Mannes zwischen 1959 und 1989 hat Leid über unschuldige Menschen gebracht. Darüber mit den Betroffenen von damals zu reden, das war ein erstes Anliegen. Verantwortung konkret nennen, bevor es zu spät ist. Schon lang zuvor war auf der Basis der wissenschaftlichen Veröffent­lichung durch Marie Anne Subklew-Jeutner unter dem Titel „Schattenspiel. Pfarrer Eckart Giebeler ­zwischen Kirche, Staat und Stasi“ (2019) klar: Giebeler war seit 1953 als hauptamtlicher Gefängnisseelsorger Angestellter des Ministeriums des Innern der DDR (MdI). Er verpflichtete sich 1959, als inoffizieller Mitarbeiter (IM) für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) zu arbeiten. Die Zusammenarbeit mit dem MdI endete im November 1989.

Giebeler war ordinierter Pfarrer, war als Gefängnisseelsorger auch Teil der Konvente. Drei Jahrzehnte hat er mit Ehrgeiz inoffiziell dem MfS über Gefangene, Bischöfe, Konsistoriale, Pfarrkollegen und Bedienstete des Strafvollzugs berichtet. Er erhielt dafür regelmäßig Geld und wurde mit Medaillen ausgezeichnet. Er hatte Zugang zu mehreren Haftanstalten, blickte tief in das Leben und die Sorgen der ­Gefangenen, gab Informationen aus den vertraulichen und seelsorg­lichen Gesprächen weiter und hat vielfach und systematisch das Beichtgeheimnis gebrochen.

Spätes Signal

2022 wurden unter Mithilfe der Beauftragten des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen kommunistischer Diktatur (LAkD), Maria Nooke, und ihrer Stellvertreterin Susanne Kschenka ehemalige politische Inhaftierten gefunden, die mit Giebeler Kontakt gehabt hatten. Manche von ihnen hatten nach so vielen Jahren nicht mehr die Kraft, zu einem Gespräch mit dem Bischof zu kommen. Andere waren überrascht und froh über das Signal dieser Kirche 30 Jahre nach der Enttarnung von Giebeler als IM „Roland“.

In der Gesprächsvorbereitung war für alle Beteiligten die angespannte Frage, wie eine solche ­Begegnung mit kirchlich Leitenden für die ehemaligen Inhaftierten, die Giebeler erlebt hatten, tatsächlich eine gute Begegnung werden kann. Schmerz, Erinnerung, innerlich „Weggelegtes“ würden präsent sein. Ein Teil des Erlittenen wurde für diejenigen, die mit 17, 18 oder 25 Jahren Quälendes erfahren mussten, wieder gegenwärtig. Und die Tatsache: Auch die „Hilfe“ eines „Seelsorgers“ war letzten Endes Betrug. Nach 1989 gab es gegen Giebeler keine dienstrechtlichen Konsequenzen.

Wie konnte das Schattenspiel aufrecht erhalten werden?

Jahrzehnte später haben nun die Eingeladenen dem Bischof Einblick gegeben in ihr persönliches Er­leben. Sie wollten allerdings am ­gemeinsamen Tisch der Erinnerung nicht nur um die verlogene ­Existenz eines damaligen Pfarrers kreisen. Wichtiger war ihnen: Wie konnte Giebeler dieses „Schattenspiel“ so aufrechterhalten – auch unter Schutz und Begleitung der Kirchenleitenden? Warum blieb es so schwer, sich nach 1989 von Eckart Giebeler zu trennen?

Und ein Zweites war den Zeitzeugen wichtig: Sie erwarten, dass die evangelische Kirche, insbesondere die EKBO, deutlich spricht und handelt. Die Nachkommenden müssen dafür sorgen, dass die damals durch Giebeler Geschädigten nicht nur gehört werden. Sie wünschen sich ein öffentliches Wort zur Übernahme der Verantwortung, etwa im Rahmen eines Gottesdienstes. ­Giebelers Berichten, Bloßstellen, Verraten und die unterlassene Hilfe, all das ist zur Schuld geworden, die auch die heutige Gemeinschaft der Schwestern und Brüder im ­Gedächtnis trägt. Nur wo Schuld konkret benannt ist, gibt es ­Chancen auf neues Vertrauen.

Der richtige Weg ist eingeschlagen

Was folgt aus dem Erzählen, bei dem in manchen Momenten des ­Zuhörens der Atem stockte? Demut bei den Hörenden angesichts des eindrücklichen Willens der Einge­ladenen, die an diesem Tag bereit waren, Zeugnis zu geben. Sie haben wiederum dankbar rückgemeldet, wie gut ihnen der Austausch getan hatte. Nun dürfen sie erwarten, dass alles Gewesene öffentlich und konkret genannt und Verabredungen zur weiteren Aufarbeitung eingehalten werden. Dieser Weg ist eingeschlagen.

Lesetipps:
Marianne Subklew-Jeutner, Schattenspiel. Pfarrer Eckart Giebeler zwischen Kirche, Staat und Stasi. Schriftenreihe der Beauftragten des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur, Band 12, ­Metropol Verlag 2019. 456 Seiten, 24 Euro.

Matthias Storck, Karierte Wolken. Lebensbeschreibungen eines Freigekauften (Edition C – C) Taschenbuch, Brendow Verlag, Moers 1996, 160 Seiten

Andreas Beckmann, Regina Kusch, Gott in Bautzen – Gefangenenseelsorge in der DDR, Ch. Links Verlag, Berlin 1994, 256 Seiten