„In den Booten sind alle gleich“

Sie haben ein gemeinsames Ziel vor Augen: Beim Segler-Verein Braunschweig trainieren Menschen mit und ohne Beeinträchtigung für einen besonderen Wettbewerb im nächsten Jahr.

Volle Kraft voraus! Diese Segler wollen bei den Special Olympics dabei sein
Volle Kraft voraus! Diese Segler wollen bei den Special Olympics dabei seinPeter Sierigk / epd

Braunschweig / Regensburg. Wenn der Wind in die Segel des „Sonnenbarsches“ greift, ist Jürgen in seinem Element. Gemeinsam mit seinem Steuermann Peter trainiert der Vorschoter auf dem Braunschweiger Südsee in der S-Jolle akribisch Wende, Halse oder Aufschießer. Jürgen ist einer von fünf „Wellenreitern“. Die jungen Erwachsenen mit geistiger Behinderung haben große Ziele: Das inklusive Segelteam der Evangelischen Stiftung Neuerkerode will an den Special Olympics World Games teilnehmen – das hat noch kein deutsches Team geschafft. „2023 sind die in Berlin. Das wäre unser absoluter Traum“, sagt Jürgen.

Den ersten großen Schritt dafür können die „Wellenreiter“ bereits bis zum Wochenende erreichen. Auf Einladung des bayrischen Landesverbandes der Special Olympics nehmen sie in der „Kategorie 1“ mit zwei Booten an einer Regatta auf dem Guggenberger See nahe Regensburg teil. In dieser Kategorie bestehen die Teams aus einem Vorschoter und einem Menschen ohne Beeinträchtigung an der Pinne. Neben dem Team aus Peter und Jürgen wollen auch Gerrit und sein Steuermann Paul dort ihr Können unter Beweis stellen.

Spaß im Vordergrund

„Da wollen wir uns natürlich anstrengen, damit wir vielleicht nach Berlin eingeladen werden“, sagt Peter. Denn ein Leistungsnachweis ist neben dem Mindestalter von 15 Jahren für Segler mit Handicap Bedingung für die Teilnahme an den World Games. „Die Vorschoter sind aufgeregt, aber wir am Steuer sind das vor unserer ersten Regatta ganz genauso.“ Nur mit reibungslosem Zusammenspiel von Fock und Großsegel und mit gemeinsamen Gewichtsverlagerungen je nach Kurs und Windstärke könne das Team alles aus seinem Boot herausholen, betont der erfahrene Skipper. Bei allem Ehrgeiz stehe für die Teilnehmer dennoch der Spaß am Segeln im Vordergrund, betont Peter. „Wir wollen gemeinsam was auf dem Wasser erleben, aber sehen uns doch als Profis.“

Auf dem Braunschweiger Südsee trainieren die Teams Manöver wie Wende, Halse oder Aufschießer
Auf dem Braunschweiger Südsee trainieren die Teams Manöver wie Wende, Halse oder AufschießerPeter Sierigk / epd

An diesem Selbstvertrauen trägt Isabell Pott einen großen Anteil. Die Trainerin des Segler-Vereins Braunschweig betreut bereits seit 2019 die „Wellenreiter“. Einmal wöchentlich trainiert sie gemeinsam mit der Gruppe. Möglichst oft soll es dabei raus aufs Wasser gehen. Entweder auf dem Topcat-Katamaran „Luise“, der Platz für vier erwachsene Segler bietet oder in den S-Jollen „Zitteraal“ und „Sonnenbarsch“. „Leider konnten wir nur eine Saison wirklich durchsegeln“, sagt sie. „Dann kam Corona und bremste uns aus.“

Dennoch habe sich das Team nicht entmutigen lassen, sagt Pott. So habe es eben mehr Theorie gegeben, ein paar Trockenübungen oder auch Knotenkunde, in der Achtknoten, Kreuzknoten und Palstek geknüpft oder Klampen belegt wurden. Und natürlich habe es auch Erzählzeiten gegeben, wo in den Gesprächen das Segeln in den Hintergrund getreten sei. „Die Begeisterung ist aber immer am größten, wenn wir zum Südsee kommen, um zu segeln.“

Teams brauchen Zeit

Die Teams aus Steuermann und Vorschoter für die S-Jollen hätten sich über Zeit gefunden. „Da muss man einfach schauen, wer zu wem passt und wem es wo Spaß macht“, verrät Pott. So sei Gerrit beispielweise erst sehr in sich gekehrt gewesen und habe Respekt vor den Jollen gehabt. „Die krängen bei Wind deutlich mehr als der Katamaran“, verrät die Trainerin. „Aber wir haben ihm gut zugeredet und mittlerweile hat er richtig Spaß, wenn sich das Boot zur Seite neigt.“


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Gefördert wird das Segelprojekt unter anderem von den Sparkassen und der niedersächsischen Lotto-Sport-Stiftung bis Ende 2023. „Dann müssen wir uns überlegen, wie wir weitermachen“, sagt Pott. Der zweite Vorsitzende des Segler-Vereins, Maik Luschtinitz, sieht dafür gute Perspektiven. „Wir haben schon vorher mit der Stiftung Neuerkerode zusammen gearbeitet“, sagt er. Die für das inklusive Segeln angeschafften Boote sollen nach Ende des Förderzeitraums weiter genutzt werden. „Allerdings würde eine weitere finanzielle Unterstützung die Möglichkeiten auf eine höhere Ebene heben.“

Über diese organisatorischen Fragen machen sich die „Wellenreiter“ und auch die Steuermänner Peter und Paul keine Gedanken. Beim Jollensegeln gehe es einfach nicht um geistige Behinderungen oder Förderzeiträume. „In den Booten sind alle gleich und es gibt an Bord nur Natur, das ‚Du‘ und Vornamen“, verrät Peter die Philosophie der Segler. „Unser einziges Handicap ist, dass wir immer raus aufs Wasser wollen.“ (epd)