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In Aschaffenburg herrscht noch immer eine ungewöhnliche Stille

Genau vier Wochen sind seit dem Messerangriff in Aschaffenburg vergangen. Wie geht es den Menschen dort mittlerweile? Der Oberbürgermeister, Vertreter aus der Zivilgesellschaft und Seelsorger geben Antworten.

Noch immer ist der Andrang groß. Ein Mann mit Kinderwagen, ein anderer mit einem Hundemantel tragenden Pinscher – viele halten an einem der Gedenkorte im Aschaffenburger Park Schöntal inne. Meistens ist es still, ab und an tauschen die Menschen sich in verschiedenen Sprachen aus. “Die Anteilnahme ist riesig, gell?”, sagt eine ältere Frau.

Auch vier Wochen nach dem Messerangriff eines 28-jährigen, psychisch kranken Afghanen auf eine Kindergartengruppe beschäftigen die Ereignisse die Menschen. “Die Stadt ist normalerweise quirlig und laut. Jetzt ist es einfach anders”, sagt Eva Meder-Thünemann. Die katholische Gemeindereferentin arbeitet in der Nähe des Parks und hat dort am Seelsorgestand mitgewirkt. Zehn Tage lang boten katholische und evangelische Seelsorger und ein Imam dort Tee, Gespräche oder gemeinsames Schweigen an.

Mit der Zeit hätten sich diese Gespräche verändert, sagt Meder-Thünemann. “Am Anfang gab es viele Tränen. Und es war ganz still.” Später sei viel diskutiert worden. “‘Die Politik hat versagt’ und solche Dinge.” Auch nach Abbau des Stands seien noch Menschen bei ihr im ökumenischen Kirchenladen vorbeigekommen und hätten das Gespräch gesucht. Die Leute gingen vorsichtiger, ja rücksichtsvoller miteinander um.

Auch Andrea Buhler-Schmidt beobachtet, wie sich die Anliegen wandeln. Sie hat die Seelsorge am Schöntal-Park initiiert und war selbst oft dort: “Völliges Entsetzen und warum Gott das zulassen kann, trieb die Leute um.” Später sei dann die Frage gekommen: “Was haben wir als Christen für eine Antwort auf die vielleicht jetzt überzogenen politischen Forderungen des rechten Flügels?”

Das Thema beschäftige die Menschen sehr, meint der katholische Aschaffenburger Pfarrer Robert Stolzenberger. “Es ist ungewohnt und auch aufrüttelnd, dass man immer wieder, auch in den großen Wahlkampfveranstaltungen, hört, dass Aschaffenburg eine Wende gebracht habe.” Die Themen gingen in zwei Richtungen: “Einerseits erleben wir vor Ort dieses Bedürfnis nach Sicherheit, aber umgekehrt auch die Sorge, den Bogen zu überspannen.”

Die Rettungskräfte beschäftigten die Ereignisse ebenfalls noch immer, meint Buhler-Schmidt. Viele von ihnen seien an einen der Gedenkorte in den Park gekommen; ein “Blaulicht-Gottesdienst” sei noch geplant. Darüber hinaus merkt man die Nachwirkungen im öffentlichen Leben: Die Stadt sagte den Fastnachtszug, der am Park Schöntal vorbeiziehen sollte, ab. Ebenso wie ein Theaterstück, in dem ein psychisch kranker Mann seine Freundin mit einem Messer ersticht.

Schon kurz nach den Ereignissen wurden in der Politik Stimmen nach einer schärferen Migrationspolitik laut. Das tue weh, meint der Aschaffenburger Oberbürgermeister Jürgen Herzing (SPD). Er habe sofort gewusst, dass viele das Geschehen ausnutzen würden: “Manche Politiker sind auf einen sehr hohen Baum gestiegen und man fragt sich, wie die nach der Wahl wieder runterkommen wollen.” Er wünsche sich mehr Vernunft.

Klar sei aber auch, dass der Staat seine Bürger zu schützen habe. “Es muss rechtlich möglich sein, Personen, von denen Gefahr ausgeht, einzuweisen. Dafür braucht es aber auch ausreichend Plätze und Therapeuten”, so der Politiker. Jetzt gehe es aber vor allem um die Betroffenen, die er persönlich besuche. Auch über einen Gedenkort solle diskutiert werden. “Aber ich glaube nicht, dass wir vor dem ersten Jahrestag etwas aufstellen.”

Viele Menschen wollten angesichts der Debatten ein Zeichen gegen Hass und Hetze setzen und versammelten sich mehrfach im Park. Initiiert hatte dies das Bündnis “Aschaffenburg ist bunt”. Dafür bekämen sie viel Zuspruch – “aber auch sehr viel Kritik von rechts außen”, erklärt Sprecher Claus Berninger. Ihnen werde vorgeworfen, wegen ihrer Solidarität mit Geflüchteten schuld an der Messerattacke zu sein.

Gerade Menschen mit Migrationshintergrund machten sich derzeit Sorgen: “Manche haben Angst, dass sie nun das Land verlassen müssen. Manche haben Wut auf den Täter, weil er ihrer Community größtmöglichen Schaden zugefügt hat. Wieder andere rechtfertigen sich, dass die Mehrheit ihrer Landsleute nur in Frieden leben will”, sagt Berninger.

Und auch Schüler hätten Sorgen, weil ihre Schulen öffentlich zugänglich seien, sagt Katrin Bauer, gleichfalls Sprecherin von “Aschaffenburg ist bunt”. Sie selbst unterrichtet als Lehrerin an einem Gymnasium in der Nähe des Tatorts. Die politische Diskussion greife sie im Unterricht auf: “Direkt nach der Tat haben die Schüler sich entsetzt gezeigt über das Agieren der AfD.”

Trotz allem kehrt langsam Zuversicht zurück. Das Leben in der Stadt normalisiere sich wieder, sagt der Pfarrer. Auch wenn die Ereignisse in München manche in Aschaffenburg noch einmal aufgerüttelt hätten. Alle Befragten sind sich aber einig, dass der Park im Frühjahr und Sommer wieder ein Ort des Lachens und der Lebensfreude werden soll.